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Nach Gott fragen angesichts der Pandemie

Die Corona-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auch auf die Kirchen und ihre theologischen Äußerungen. Mancher Vorwurf über „das Schweigen der Bischöfe“ meint die ganze Kirche und vermisst öffentliche Deutungen durch Kirche und Theologie.

Der von Annette Kurschus, Traugott Jähnichen und mir herausgegebene Band „Nach Gott fragen angesichts der Pandemie. Von Gott reden – mit Gott reden“ (Luther-Verlag Bielefeld 2022, 164 Seiten, Paperback, 14,95€, ISBN 978-3-7858-0808-5) dokumentiert theologische Äußerungen aus der Evangelischen Kirche von Westfalen in den Jahren 2020-2022, die deutlich machen: Krisenerfahrungen theologisch zu deuten heißt nicht, Antworten auf alle Fragen zu wissen, sondern die Frage nach Gott als eine eigene Perspektive in die Öffentlichkeit einzubringen. Von Gott reden heißt vor allem: nach Gott fragen und mit Gott reden.

Ulrich Körtner schreibt in seiner Rezension im Magazin zeitzeichen: „Warum also weiter von Gott reden? Wie von Gott und wie zu ihm reden?Mit diesen Fragen setzen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes redlich auseinander […]. Sein Ziel ist es, das Gespräch in den Gemeinden und Kirchenkreisen anzustoßen“.

Harald Schroeter-Wittke hat den Band auf evangelisch.de rezensiert. Er schließt mit dem Lob: „So darf dieses Buch mit Fug und Recht ein theologisches Kompendium angesichts der jüngsten Corona-Erfahrungen genannt werden, das hoffentlich viele Menschen erreicht und sie ebenso zu begeistern vermag wie mich.“ 

Inhalt:

Annette Kurschus – Vorwort. Gott in der Pandemie
Traugott Jähnichen / Vicco von Bülow – Nach Gott fragen und mit Gott reden. Theologische Herausforderungen im Kontext der Corona-Pandemie
Annette Kurschus – Die ernsthafte Frage nach Gott
Annette Kurschus – Die schöpferische Kraft des Geistes. Theologische Zeitansage
Ständiger Theologischer Ausschuss der Evangelischen Kirche von Westfalen – Die Frage nach Gott in der Pandemie. Krisenerfahrungen theologisch deuten
Thorsten Moos – Die Frage nach Gott und die theologische Fatigue in Zeiten der Pandemie
Ralf Stolina – Beten
Carsten Haeske – Das gottesdienstliche Gebet – und wie Corona es verändert hat
Martin Treichel – Ein Gott, der Hilfe braucht. Weihnachtspredigt in schlimmen Zeiten

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Kirchliches

Vielfalt trotz Lockdown

Am Donnerstag, den 11. August 2021, veröffentlichte die Evangelische Kirche von Westfalen die Ergebnisse einer Umfrage zu den Gottesdiensten an den Weihnachtstagen 2020 mit dem Titel „Vielfalt trotz Lockdown“.

In meinem Vorwort (vom 2. Juli 2021) dazu habe ich den Kontext der Umfrage erläutert:

„Die Risikobewertung des RKI wurde angepasst. Das RKI schätzt nunmehr die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein.“ (täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19), 15. Dezember 2020 -aktualisierter Stand für Deutschland)
So fasste das Robert-Koch-Institut die aktuelle Lage am 15. Dezember 2020 in der Corona-Pandemie zusammen und präzisierte: „Aktuell ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Daher wird dringend appelliert, dass sich die gesamte Bevölkerung noch stärker als bisher für den Infektionsschutz engagiert. Seit dem 4. Dezember 2020 ist ein starker Anstieg der Fallzahlen zu beobachten. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit bei 174 Fällen pro 100.000 Einwohner.“ In Nordrhein-Westfalen betrug die 7-Tage-Inzidenz für an das RKI übermittelte COVID-19-Fälle 172.
In dieser Situation veröffentlichte die Evangelische Kirche von Westfalen „schweren Herzens“ ein Corona-Update, in dem eine von landeskirchlichem Corona-Stab und der Konferenz der Superintendentinnen und Superintendenten ausführlich diskutierte „dringende Empfehlung“ veröffentlicht wurde. Im Kern enthielt das Update diese beiden Punkte:
„Die Evangelische Kirche von Westfalen hält es angesichts der gegenwärtigen und deutlich veränderten Lage – trotz der bisher bewährten Schutzkonzepte – für ein Gebot der Vernunft, auf Versammlungen von Menschen möglichst zu verzichten, um Menschen nicht zu gefährden. Darin erkennen wir – im Respekt vor den Entscheidungen anderer Landeskirchen und Bistümer – zu diesem Weihnachtsfest unseren Auftrag, der Liebe Gottes zu den Menschen zu entsprechen. Deshalb empfehlen wir den Kirchengemeinden in der EKvW dringend, ab sofort und über die Weihnachtsfeiertage – voraussichtlich – bis zum 10. Januar 2021 auf alle Präsenzgottesdienste und andere kirchliche Versammlungen (in Gebäuden
und unter freiem Himmel) zu verzichten.“
Dies wurde gleichzeitig auch von Präses Dr. h. c. Annette Kurschus im WDR-Regionalfernsehen bekannt gegeben und erläutert.

Diese Empfehlung erregte naturgemäß einiges Aufsehen. Viele Rückmeldungen aus den westfälischen Kirchengemeinden zeigten: Die weitaus meisten Gemeinden verstanden die Empfehlung als konstruktive Hilfestellung in einer schwierigen Entscheidungssituation. Der Paderborner Theologieprofessor Harald Schroeter-Wittke äußerte öffentlich: „Ich bin stolz auf meine westfälische Kirche! Das ist nicht nur gesellschaftlich, sondern auch theologisch weitsichtig!“ (zitiert nach: Reinhard Mawick, „Stolz auf meine westfälische Kirche!“ Notizen um das Pro und Contra von Präsenzgottesdiensten am 24. Dezember, in: zeitzeichen vom 22. Dezember 2020).
Aber es gab auch Kritik an diesem Vorgehen, sowohl innerhalb wie außerhalb der EKvW. Mancher vermisste die Abstimmung der Landeskirche mit den eigenen Gemeinden oder mit anderen Kirchen, manche sah die eigenen, bisher bewährten Schutzkonzepte als ausreichend zur Infektionsvermeidung an.

Zweifellos handelte es sich um einen umstrittenen Entschluss. Denn es war klar, dass sich viele Menschen gerade in diesem Pandemie-Jahr besonders nach den Weihnachtsgottesdiensten und nach Gemeinschaft sehnten. Die Botschaft vom rettenden Kommen Gottes in unsere Welt blieb gerade dann wichtig. Deshalb wurde zum Beispiel bis zuletzt diskutiert, ob zumindest Freiluft-Gottesdienste empfohlen werden könnten. Die Entscheidung dagegen und somit ein vollständiges Umdenken und Umplanen war durch die Dynamik des Pandemiegeschehens motiviert. Der RKI-Appell lautete, Kontakte soweit wie möglich zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. In dieser Situation das genaue Gegenteil zu tun und Menschen zu versammeln, schien der Evangelischen Kirche von Westfalen nicht angemessen. Das schloss die schmerzhafte Empfehlung ein, auf physische Versammlungen zum Gottesdienst zu verzichten.
Gleichzeitig war klar: Weil das Feiern von Gottesdiensten aufgrund der Religionsfreiheit in Deutschland nicht untersagt worden war, bestand weiterhin die Möglichkeit dazu. Landeskirchliche Verbote sieht das westfälische Kirchenrecht zu Präsenzgottesdiensten im Blick auf die diesbezügliche Eigenverantwortung der Kirchengemeinden nicht vor. Deshalb stand es Gemeinden frei, in der Weihnachtszeit 2020 verantwortlich zu einem Präsenzgottesdienst einzuladen.
Die Kirchengemeinden wurden ausdrücklich dazu ermuntert, statt der traditionellen Präsenzgottesdienste kreative andere Verkündigungsformate zu nutzen: digital übertragene Gottesdienste, Verteilmaterial für Weihnachtsandachten im häuslichen Kontext (ein dazu geplantes Magazin ließ sich leider landeskirchlich nicht realisieren), offene Kirchen als Orte der Stille und des Gebets sowie manches mehr. Die evangelische Kirche hat nicht geschwiegen, sie hat andere Formen der Kommunikation des Evangeliums praktiziert. Gottesdienste wurden nicht abgesagt, sie wurden anders gefeiert.
Wie genau diese Feier anders war, das wollte der Corona-Stab der EKvW Anfang 2021 wissen und befragte deshalb die evangelischen Kirchengemeinden in Westfalen mit einementsprechenden Fragebogen. Dieser Fragebogen wurde von Dr. Peter Jacobebbinghaus ausgewertet. Die im Fragebogen enthaltenen Antworten auf offene Fragen hat Pfarrer Carsten Haeske interpretiert. Beiden sei herzlich dafür gedankt

Wir hoffen, dass diese Broschüre dazu beitragen kann, zum besseren Verstehen der kirchlichen Lage beizutragen und so etwas Licht in „das Dunkel des gelebten Augenblicks“ (Ernst Bloch) zu bringen.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der ausgewerteten Umfrage liegt die 7-Tage-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen bei 5,6. Angesichts steigender Impfquoten und bei weiterer Einhaltung von notwendigen Vorsichtsmaßnahmen erscheint die Hoffnung auf einen guten Sommer mit Präsenzgottesdiensten und Gemeindegesang als begründet. Aber ob angesichts von hoch ansteckenden Virus-Mutationen und in der kälteren Jahreszeit Weihnachtsgottesdienste 2021 anders als im Vorjahr wirklich wieder ohne Bedenken präsentisch gefeiert werden können, ist derzeit nicht mit Sicherheit zu sagen. Dass die Gemeinden, die positive Erfahrungen mit digitalen Gottesdiensten gemacht haben, dies auch zukünftig fortsetzen werden, ist dagegen nicht nur zu erwarten, sondern auch zu erhoffen. Denn die digitalen Gottesdienste gehören spätestens seit Weihnachten 2020 zur erfreulich selbstverständlichen Vielfalt von Gottesdienstformaten nicht nur in der Evangelischen Kirche von Westfalen.“

Die Broschüre kann auf der Download-Seite der EKvW als pdf-Datei heruntergeladen und in Papierform kostenlos im Kirchenshop Westfalen bestellt werden.