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Lehrwerk Praktische Theologie

Isolde Karle, Praktische Theologie (Lehrwerk Evangelische Theologie 7), Leipzig 2020, XVII und 718 S., gebunden, 58€, ISBN 978-3-374-05488-6

In Band 7 des „Lehrwerks Evangelische Theologie“ vermittelt die Bochumer Praktische Theologin Isolde Karle Studierenden „gegenwartsbezogenes theologisches Grundwissen“ und verbindet dies mit einer „praxisorientierten Ausrichtung auf das künftige Berufsfeld“ im Pfarr- und Lehramt (S. V).

Nach einer Beantwortung der für diese Disziplin besonders notwendigen Frage „Was ist Praktische Theologie?“ folgen drei grundlegende Kapitel zu Religion, Kirche und Pfarrberuf in der Moderne. Danach werden die klassischen Felder der Praktischen Theologie behandelt: Homiletik, Liturgik, Poimenik und Kasualien, darüber hinaus die Diakonie und die Medienkommunikation. Ein fast 90-seitiger Serviceapparat mit Literaturangaben und Registern verhilft zur Weiterarbeit.

Der Aufbau jedes Kapitels ist lehrbuchtypisch vergleichbar strukturiert, sodass zunächst biblisch-historische Perspektiven skizziert, bevor aktuelle Debatten luzide dargestellt und präzise diskutiert werden. Regelmäßig fassen optisch hervorgehobene Merksätze die zentralen Erkenntnisse didaktisch hilfreich zusammen.

Die im Vorwort (S. XV-XVII) transparent benannten Grundprinzipien prägen das gesamte Buch: Eine realistische Wahrnehmung der „Ambivalenzen modernen Lebens“ und der „Theologiebezug der Praktischen Theologie“ ergänzen die generellen Lehrwerkperspektiven Interdisziplinarität und Gegenwartsrelevanz. Der Gewährsmann Karles für all dies ist Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Von hier aus versucht Karle, „möglichst objektiv die Pluralität praktisch-theologischer Konzeptionen und Diskurse zu beschreiben“. Die in den beiden Worten „möglichst objektiv“ liegende Spannung lässt sich durchgängig beobachten. Sichtbar ist Karle bestrebt, die angestrebte Objektivität durch Darstellung der unterschiedlichen Positionen zu den verschiedenen Themen durchzuhalten. Aber weil sie zu allen diesen Themen bereits eigene Positionen entwickelt und publiziert hat (vgl. die beeindruckende Zahl ihrer Literaturtitel S. 654-657), ist es unvermeidlich, dass Objektivität nie ungebrochen erreicht wird. So ist, um ein besonders deutliches Beispiel zu erwähnen, das pastoraltheologische Kapitel „Der Pfarrberuf als Profession“ durch Karles gleichnamige Habilitationsschrift geprägt (vgl. bes. S. 141-148). In den abschließenden Ausführungen zur Medienkommunikation führt Karle den historischen Zentralsatz „Das Christentum hat sich immer schon der Medien bedient“ (S. 610) auf die Gegenwart aus, indem sie quasi nebenher die soziologischen Entwürfe von Niklas Luhmann, Armin Nassehi und Dirk Baecker skizziert, die evangelischen Medienpioniere August Hinderer, Robert Geisendörfer und Johanna Haberer ins Spiel bringt und sich dann unter Bezug auf aktuelle Forschung von Kristin Merle, Günther Thomas und Wilhelm Gräb kritisch den gegenwärtigen Massenmedien zuwendet. Vor allem die Social Media bergen für die auch auf Facebook aktive Autorin eher Probleme als Chancen. Über die Frage, ob hier für die gegenwärtige Kommunikation des Evangeliums nicht doch mehr Potenzial vorhanden ist, ließe sich trefflich diskutieren. Ist es im Internet wirklich „nicht möglich, Abendmahl zu feiern und authentische Begegnungen face to face zu haben“ (S. 624), und sind Begegnungsräume im Internet wirklich nicht „real“, „authentisch“ und „interaktiv“ (S. 625)?

Solche Fragen müssen gestellt werden (und sie können anders beantwortet werden), sie dürfen aber nicht davon ablenken, dass Isolde Karle mit diesem Lehrwerk zur Praktischen Theologie ein „Standardwerk“ (R. Kunz in der ThLZ) vorgelegt hat, das Studierende nicht nur bestens auf die theologischen Examina, sondern auch auf den Pfarr- und Lehrberuf vorbereiten wird. Und für alle diejenigen, die bereits in diesen Berufen tätig sind, lohnt sich die Lektüre ebenfalls, weil „sich die Leitung und Gestaltung kirchlicher Praxis nicht von selbst verstehen“ (S. 7f.), sondern der Theologie bedürfen.

(Kirchliches Amtsblatt der Ev. Kirche von Westfalen, Ausgabe 4/2021, S. 35)