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Humoriges Persönliches

Wenn der Namensvetter 100 Jahre alt wird

„Aber man hat schon das Gefühl gehabt, wenn er sitzt und herumguckt, dass er immer alles genau beobachtet. Irgendwo musste er das Material für seine Filme und Sketche herbekommen.“

Zum 100. Geburtstag von Loriot hat mich das Kölner Domradio interviewt. Das Interview ist hier online zu finden.

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Humoriges Persönliches

#bänketesten

Endlich enthüllt:
das Bankgeheimnis

Aus der Printausgabe – UK 05 / 2022

Gerd-Matthias Hoeffchen | 28. Januar 2022

Ob in Kirchen, am Wanderweg oder auf Friedhöfen: Die Bank hat es dem Menschen angetan. #bänketesten!

Plötzlich war die Idee da. „Bänke! Die werden total unterschätzt.“ Es war in den ersten Monaten des Lockdowns. Vicco von Bülow, im Beruf Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche von Westfalen, daheim Vater von Kindern, die beschäftigt werden wollten, war viel unterwegs. Spazieren. Wandern. „Rausgehen war gut“, erzählt von Bülow. Frische Luft, austoben, keine Viren – „mit den Kindern haben wir die Umgebung noch mal ganz neu entdeckt“.

Und irgendwann passierte es. Verschnaufpause. Eine Bank im Wald. „Hey, hier sitzt man echt gut!“, meldete sich der Jüngste lautstark zu Wort, „dafür gebe ich sieben von zehn Punkten.“ Alle grinsten. Die Idee des „Bänke testen“ war geboren.

„Seitdem haben wir bei unseren Touren ganz anders auf Bänke geachtet“, erzählt Vicco von Bülow. Irgendwann postete der Familienvater dann auch auf Instagram ein Foto von sich auf so einer Bank – und war perplex, wieviele Rückmeldungen es gab. „,Tolle Bank. Wo steht die? Was machst du da?‘ Da merkte ich, dass Bänke offenbar etwas auslösen.“

Und so veröffentlichte Vicco von Bülow in der Folgezeit weitere Fotos von Bänken. Und gebrauchte dabei einen Kniff, der in den sozialen Medien des Internet große Wirkung zeigt: In der Bildzeile zu jedem Foto setzte er das Doppelkreuz #. Und gleich dahinter das Wort „bänketesten“. Die Kombination mit dem # („hashtag“ auf englisch) sorgt dafür, dass fortan alle Beiträge auf einer gemeinsamen Seite zusammengeführt werden – egal, wer sie veröffentlicht oder wo das geschieht. Hauptsache, der Text enthält das Wort #bänketesten.

Eine Aktion war geboren. Und viele machen seitdem mit.

Zum Beispiel Burkhard Leich. „Ich fand die Idee witzig.“ Der Diplompädagoge aus Herford ist viel mit dem Fahrrad unterwegs, und er fotografiert leidenschaftlich gerne. „Als ich von der Aktion hörte, dachte ich mir: Klar, da bin ich dabei.“ Was ihm daran so gefällt? „Die Sache hat eine Leichtigkeit. Eine Unbeschwertheit.“

Es muss eben nicht immer alles einen ganz tiefen Sinn haben. Manchmal dürfen Dinge einfach auch nur Spaß machen. Und so finden sich unter dem hashtag #bänketesten seit Anfang 2021 immer mehr Fotos von Bänken. Vor Kirchen. In Kirchen. In Parks. Auf Friedhöfen. Fußgängerzonen. Oder auch vom Urlaub an der Nordsee. Bänke stehen halt an vielen Orten herum.

Aber: Bänke sind nicht nur fast überall verfügbar. Sie sind – bei näherer Betrachtung – auch faszinierend.

Zum Beispiel für Politikerinnen und Politiker. Als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel den US-Präsidenten Barack Obama empfing, musste eines der offiziellen Pressefotos sein: die beiden auf einer Bank im Grünen. Ähnlich kürzlich noch Friedrich Merz und Markus Söder. Die Bank strahlt Ruhe aus, steht für: Kraft tanken; sie symbolisiert Nähe und Bodenständigkeit. Anders als ihre aufgehübschten Geschwister Sofa und Couch geizt die Bank mit Komfort und bietet stattdessen klare Kante und Konzentration auf das Wesentliche: Halt geben. Neue Kräfte verleihen.

Wohl nicht von ungefähr spricht man auch von einer „sicheren Bank“. Das kann übertragen gemeint sein (so kann etwa ein zuverlässiger Fußballspieler als „sichere Bank“ bezeichnet werden). Aber auch ein Finanzinstitut kann eine „sichere Bank“ sein. Tatsächlich haben beide, Sitzmöbel und Geldhaus, nicht nur den gleichen Namen (Tipp fürs Teekesselchen-Spiel!), sondern die gleiche Wortherkunft: „Bank“ meinte ursprünglich den Sitz und auch den Tisch, über den das Geld gewechselt wurde.

Eine ganz sichere Bank gibt es auch in der Kirche. Mag mancherorts das alte Holzgestühl auch durch flexiblere Einzelsitze ersetzt worden sein: Ganz überwiegend gehört die Kirchenbank zum Gotteshaus fast genauso dazu wie das Amen in der Kirche.

Allerdings war das nicht immer so. Im Grunde sorgte erst die Reformation dafür, dass sich die Bank in der Kirche durchsetzte: Als die Protestanten plötzlich die Wortverkündung in den Mittelpunkt des Gottesdienstes stellten, die Ansprachen nicht mehr in Latein hielten, sondern in der üblichen Landessprache, da musste die Gemeinde mit einem Mal zuhören. Und zwar zum Teil recht lange. So kamen die Bänke in die Kirche. In der römisch-katholischen Messe dagegen standen und knieten die Menschen dagegen noch recht lange. Bis auch hier die Bank sich durchsetzte – praktischerweise mit einem extra Niederkniebrett. Das gibt es bis heute.

Die Bank: eine echte Erfolgsgeschichte. Die Menschen lieben sie. Sie brauchen sie. Egal, wo man hinkommt: Die Bank ist meist schon da.

Also: Nicht auf die lange Bank schieben! Sondern mitmachen! Schauen Sie demnächst genauer hin, wenn Sie an einer Bank vorbeikommen.

Machen Sie vielleicht sogar ein Foto davon, wenn sie Ihnen gefällt. Und posten Sie sie auf Instagram oder Facebook mit dem hashtag #bänketesten.

Und wenn Sie das nicht wollen oder können: Schicken Sie Ihr Foto an uns, die UK-Redaktion, gemeinsam mit ein paar kurzen Angaben zu sich und der Bank. Wir werden die Fotos dann gern für Sie im Internet veröffentlichen.

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Humoriges Kirchliches

Die spinnen, die Römer!

„Die spinnen, die Römer!“

Den Satz wollte ich immer schon mal in einer Andacht unterbringen. Gut, dass ich kein Ökumene-Dezernent bin.

Und der Satz ist ja auch gar nicht anti-ökumenisch, weil er gar nicht auf die römisch-katholische Kirche bezogen ist. Sondern – Sie werden es alle erkannt haben – „Die spinnen, die Römer“ ist natürlich ein Zitat aus den Asterix-Comics. Meistens sagt ihn Asterix‘ dicker Freund Obelix (nein, der ist natürlich gar nicht dick!), aber er ist auch darüber hinaus irgendwie zum geflügelten Wort geworden.

Ich bin seit meiner Jugend ein großer Fan der Gallier, die von den Franzosen Goscinny und Uderzo erfunden wurden – und seit meinem ersten Heft „Die Trabantenstadt“ freue ich auf jedes neue Heft. Nach einem kleinen Hänger zwischendurch gilt das besonders, seitdem Jean-Yves Ferri und Didier Conrad das Ruder übernommen bzw. die Feder in die Hand genommen haben.

So auch Ende Oktober dieses Jahres. Da erschien Band 39: „Asterix und der Greif“. Asterix, Obelix, Miraculix und Idefix machen sich auf nach Asien ins Barbaricum zum Volk der Sarmaten, um den sagenumwobenen Greifen zu finden. Sie haben sich aber nicht alleine auf den Weg gemacht. Mit auf dem Weg nach Osten sind auch die Römer, die ja bekanntlich spinnen. Während die Gallier auf ihrem dreispännigen Schlitten nur leichtes Gepäck dabei haben, sind die römischen Legionäre unter ihrem Zenturio Brudercus so wohl organisiert, wie es international bekannte Institutionen wie die Armee Roms nun einmal sind. Angekommen im Barbaricum, schlagen sie erst einmal ihr Lager auf – auch um den Barbaren zu zeigen, was römische Architektur ist. Und dann schreit Brudercus: „An die Arbeit! Ich will ein Provisorium, das Bestand hat!

Ja, habe ich mir da gedacht: Das kenne ich. Ein Provisorium, das Bestand hat. Das gibt’s auch heute noch. Ist das nicht auch die Kirche, der ich angehöre, für die ich arbeite, für die wir arbeiten? Ist das nicht ein Thema der Bibel von ihren Anfängen an? Abraham verlässt sein Vaterhaus und zieht ins Unbekannte. Das Volk Gottes wohnt in provisorischen Zelten. Gott selbst wohnt mit seinen Geboten in einem Zelt, das mit dem Volk zieht. Der spätere Tempelbau ist sehr umstritten. Die Propheten kritisieren, wenn das Volk sich darauf ausruht, sesshaft zu werden. Dennoch: Sie bauen ihre Häuser, ihre Straßen, ihre Brunnen, ihre Märkte. Sie bauen ihre Stadt und suchen dieser Stadt Bestes. Sie richten sich ein.

Jesus macht sich ebenfalls auf ins Provisorium. Er verlässt die Zimmerwerkstatt seines Vaters und wird Wanderprediger. Die Füchse wissen, wo sie sich abends schlafen legen, er weiß es nicht. Seine wandernde Existenz ist Ausdruck seiner Haltung. Sein Leben ist Bewegung, Aufbruch. Nach seinem Tod brechen die Jünger auf und erzählen in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde von ihm. Paulus und andere Apostel gründen christliche Gemeinden in Galatien, in Korinth, in Rom. Am Anfang wurden diese frühen Christen „Anhänger des Wegs“ genannt.

Aber der Mensch braucht Wurzeln. Er braucht Heimat. Er will wissen, wohin er gehört. Je weitläufiger die Welt wird, desto mehr sehnt er sich nach Heimat. Sehnsucht nach Ankommen, Bleiben. Auch die urchristlichen Gemeinden treffen sich in Häusern, bauen bald besondere Häuser für ihre Gottesdienste. Basiliken und Kathedralen entstehen – wunderschöne Architektur zum Lobe Gottes.

Nur, feste Häuser schaffen ein Problem. Sie lehren das Festhalten. Hecken, Zäune, geschlossene Fensterläden. Geschützte Räume verlangen nach Recht. „Wenn wir irgendwelche Besitztümer hätten“, sagt der heilige Franziskus, „wären uns Waffen nötig“. Feste Häuser werden zu Lagern. Man will unter sich sein. Milieugebundene Stadtteile entstehen. Im Lager entsteht eine Lagermentalität. Die Schriftgelehrten und Hohepriester bilden ein Lager. Man definiert sich über Zugehörigkeit zum Lager. Wir erleben das in diesen Tagen auf andere Weise. Filterbubbles entstehen nicht nur im Internet. In der Kohlenstoffwelt gibt es ebenso nicht nur Lagerdenken, sondern ganz reale Lager. Auch in der Kirche. Die Politischen stehen gegen die Frommen, die Pop-Freunde gegen die Klassik-Liebhaber, die ländlichen Regionen gegen die städtischen Gebiete, die Lutheraner gegen die Unierten. Und alles natürlich auch wieder andersrum.

Jesu Existenz ist das Heraustreten, wie das lateinische Wort „Existenz“ zu übersetzen ist. Ex-sistere. Herausstellen, sich herausbewegen. Jesus brach den Lagergedanken auf. Er ist die ganze Zeit seines Wirkens aus den Gewohnheiten herausgetreten. Er gab auf, sein Recht zu behaupten. Er verzichtete auf Besitz. Er setzte die Beziehung zu Gott höher als zu Mutter und Geschwistern. Er hat Menschen nie festlegt. Er gab dem Zachäus Raum zur Veränderung und der Ehebrecherin einen neuen Anfang. Die ihn verurteilten und draußen vor den Toren der Stadt töteten, wussten gar nicht, dass der Ort außerhalb der Stadtmauer genau seinem Wesen entsprach. Sie wollten ihn behandeln wie ein Tier-Opfer im Tempel, das seinen Dienst getan hat und draußen vor dem Tor durch Verbrennen entsorgt wird.

„Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebräer 13,12-14)

Hinausgehen ist eine menschliche Lebensaufgabe von Beginn an. Der erste Schock, wenn ich den warmen Mutterleib verlassen und selbst anfangen muss zu atmen, um nicht zu sterben. Der erste Tag im Kindergarten ohne Mutter oder Vater. Das Elternhaus verlassen. Der erlernte Beruf reicht nicht für ein ganzes Leben. Neues lernen. Die Kinder verlassen das Haus und richten sich in der eigenen Existenz ein. Die eigene Lebensplanung wird fragwürdig: Nun bin ich Schritt für Schritt die Karriereleiter hochgestiegen, aber lehnt die Leiter überhaupt an der richtigen Wand? Die Melancholie des alten Menschen: „Wie viele Frühlinge werde ich noch sehen?“ Muss ich meine vertraute Wohnung verlassen, um mich in einem Pflegeheim versorgen zu lassen? Für viele Ältere ist diese Frage in Corona-Zeiten nicht mehr bloß kokett gestellt. Wird es ein Beatmungsgerät für mich geben, wenn das Virus mich erwischt? Wir haben hier keine bleibende Stadt. Alle Sicherungsmaßnahmen taugen nicht.

Aber Häuser sind nicht als solche sinnlos, Städte sind nicht grundsätzlich falsch.

Denn die zukünftige Stadt, die suchen wir. Jeder und jede für das je eigene Leben. Und für unsere Kirche wir alle am besten gemeinsam. Nicht gegeneinander, in Abgrenzung zu den anderen Filterblasen. Sondern miteinander auf dem Weg zu einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit.

Als Fromme erkennen wir an, wie aktiv die Politischen Gottes Auftrag zur Weltgestaltung erfüllen; als Politische, wie innig die Frommen aus der Quelle unseres Glaubens leben. Als Pop-Freunde lernen wir die Schönheit der Gregorianik und Barock zu schätzen und als Klassik-Liebhaber die Energie von Jazz, Rock und Pop. Als Landbewohner nehmen wir Ernst, wie in den Städten viele gemeinsame Probleme zuerst bewältigt werden müssen; als Stadtbewohner, wie auf dem Land vieles Gute noch bewahrt ist, was anderswo schon aufgegeben wurde. Als Lutheraner, Reformierte und Unierte, wie in unseren unterschiedlichen Ausformungen die Vielfalt der reformatorischen Bewegung in ihrem ganzen Reichtum lebendig sein kann.

„Ein Provisorium, das Bestand hat“ – diesem Paradox werden wir auch in der Kirche nicht entkommen. Aber wir brauchen auch nicht daran verzweifeln. Wir können es fröhlich gestalten. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Um es mit einem Römer, dem Zenturio Brudercus, zu sagen: „An die Arbeit!“

Amen.

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Humoriges Persönliches

Zum zehnten Todestag von Loriot

Es funktioniert immer. Garantiert. Immer, wenn ich einen Vortrag halte an einem Ort, wo ich vorher noch nicht war. Ich beginne mit dem Satz:
„Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben. Mein Name ist Vicco von Bülow.“
Und dann:
„Und um die erste Frage zu beantworten…“
Pause. Verblüffte Gesichter: Welche Frage denn? Weiter im Text:
„Ja, aber nur entfernt.“
Gelächter im Publikum.

Es funktioniert immer. Auch 10 Jahre nach Loriots Tod am 22. August 2011. Aber auch heute ist er noch im Bewusstsein vieler Menschen präsent. Erst jüngst hat die Literaturfachzeitschrift „text und kritik“ ihm ein Sonderheft[1] gewidmet. Und die Süddeutsche Zeitung hat gleich ein SZ-extra[2] daraus gemacht. Denn Loriot sei „unvergesslich“. Und tatsächlich: Noch 2018 kannten 92 Prozent der deutschen Bevölkerung Loriot, und zwar sowohl in West wie in Ost.[3]

„Sind Sie mit Loriot verwandt?“[4] Diese Frage kenne nicht nur ich, sondern jede(r), der den Nachnamen von Bülow trägt. Bei mir kommt noch der gleiche Vorname hinzu: „Vicco“ kommt vom skandinavischen „Viggo“ (der Krieger), nicht vom lateinischen Viktor (der Sieger). Aber ich bin nicht nach ihm benannt worden, der Name ist seit dem 15. Jahrhundert in unserer Familie heimisch. Die erste Erwähnung der Bülowschen Familie datiert auf das Jahr 1229,[5] die letzten gemeinsamen Vorfahren von Loriot und mir haben um 1400 gelebt – kirchengeschichtlich gesehen also vorreformatorisch, was eine eher weitläufige Verwandtschaft ergibt. Aber wir haben uns, wie alle Mitglieder unserer weitläufigen Familie, miteinander verwandt gefühlt. Und auf einigen der alle zwei Jahre stattfindenden Familientage haben wir uns persönlich getroffen. Unter den bis zu 200 Bülows war dann auch er, ein netter, freundlicher älterer Herr, offen und gesprächsbereit, völlig unprätentiös und überhaupt nicht eitel.

Auf einem dieser Familientage hat er mir er als Theologen ein besonderes Geschenk gemacht: ein Knollennasenmännchen mit Beffchen und Heiligenschein. Ein Unikat. Ein ganz besonderes Andenken, das ich aber aus Urheberrechtsgründen nicht öffentlich zeigen kann. Seine Knollennasenmännchen waren und sind unverwechselbar. Seine TV-Sketche sind Klassiker schon zu Lebzeiten gewesen, die beiden Herren in der Badewanne, Weihnachten mit Hoppenstedts oder der Lottogewinner Erwin Lindemann (dessen Tochter mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen wollte). Seine Filme „Ödipussi“ und „Pappa ante portas“ haben gezeigt, dass er auch das große Format „konnte“. Er beherrschte diese verschiedenen Formate meisterlich. Aber seine eigentliche Stärke war die Beobachtung. Sein scharfer Blick für menschliche Charakterzüge verband sich mit einem milden Tadel für diese Schwächen. Zumindest war die Milde sein Mittel, damit seine kritischen Anmerkungen zu der Gesellschaft seiner Zeit von möglichst vielen Mitgliedern dieser Gesellschaft auch wahrgenommen wurde.[6]

Wie so viele in Deutschland und auch in der evangelischen Kirche habe ich seine Sketche, Zeichnungen, Filme, Inszenierungen mit großem Vergnügen gesehen; viele Formulierungen haben sich auch bei mir in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeschlichen, zum Beispiel das schlichte „Ach, was?!“. Sein feiner Sinn für die menschlichen Stärken und Schwächen hat vermutlich nicht nur mich dabei immer wieder wie in einen Spiegel schauen lassen.[7] Dass er – anders als so manche(r) andere Comedian – schlechte Witze über Gott und die Kirche unterlassen hat, verstärkt aus meiner Sicht nur das Niveau seines Humors, der nicht nur seiner familiären Herkunft wegen vornehm genannt werden kann. Andere haben seine Grundhaltung auch zutreffend als „gelassen, heiter, verzweifelt“[8] bezeichnet. Von seinen Kollegen wurde er als „Komikklassiker“ (Robert Gernhardt)[9] oder als „beliebtester deutscher Komiker“ (Otto Waalkes)[10] bezeichnet.

Mit 87 Jahren ist er 2011 in einem biblischen Alter gestorben. In Psalm 90,10 heißt es „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre.“ In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und trat nicht mehr aktiv als Humorist in Erscheinung. Zwei Jahre nach seinem Tod wurden über 400 unveröffentlichte Zeichnungen von Loriot in einer großen „Spätlese“ veröffentlicht. Die als „Nachtschattengewächse“ im Schlussteil des Werks bezeichneten Bilder entstanden in schlaflosen Nächten und sind anders als der Rest, nämlich kubistisch, dadaistisch, verquer und weniger offensichtlich komisch.

Fünf Jahre vor seinem Tod wurde er in einem Streiflicht der „Süddeutschen Zeitung“ dahingehend zitiert, dass er ab und an mit Frau und Freunden über Friedhöfe marschiere und nach einer geeigneten letzten Ruhestätte Ausschau halte. Solches abschiedliche Leben war keineswegs makaber, sondern zeigte die fröhliche Gelassenheit, mit der er dem Tod ins Auge blickte. „Ich glaube“, hat Loriot damals gesagt, „dass der liebe Gott lachen kann“.[11] Auch wenn wir darüber trauern, dass wir nicht mehr mit dem lebenden Loriot lachen können, so können wir uns doch darüber freuen, dass er mit dem lebendigen Gott lachen kann.


[1] Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur IV/21, Nr. 230: Loriot.
[2] SZ-extra „Kultur und Zeitvertreib“ vom 12. Mai 2021.
[3] Vgl. Max Wellinghaus, Loriot. Kleine Anekdoten aus dem Leben eines großen Humoristen, München 2. Aufl. 2018, S. 7.
[4] „‘Sind Sie mit Loriot verwandt?‘ – diesen Satz kennt jede(r) Bülow hierzulande. Die Frage kann immer mit gutem Gewissen bejaht werden.“ Angelika v. Bülow, „Alle Diemirs sind verwandt“, in: Daniel Keel (Hg.), Loriot und die Künste. Eine Chronik unerhörter Begebenheiten aus dem Leben des Vicco von Bülow zu seinem 80. Geburtstag, Zürich 2003, S. 28-30, Zitat S. 28.
[5] Vgl. Daniel Faustmann, unter Mitarbeit von Henning und Detlev Werner von Bülow, Vierzehn Kugeln auf blauem Schild. Die Bülows in der Geschichte, hg. durch den von Bülow’schen Familienverband. Schwerin 2014.
[6] „Das geladene Publikum lacht. Die Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur lachen. Jeder einzelne glaubt von sich, nicht gemeint zu sein. Wenn sie sich da mal nicht irren.“ Eckhardt Pabst, „Das Bild hängt schief!“ Loriots TV-Sketche als Modernisierungskritik, in: text und kritik (Anm. 1), S. 34-52, Zitat S. 50.
[7] „Er hält unserem Gesprächsverhalten auf komische, überzogene, ja groteske, niemals pädagogisierende Weise den Spiegel vor und zeigt uns das Absurde daran.“ Ulla Fix, Was ist das „Loriot’sche“ an Loriot? Eine Betrachtung seiner „Ehe-Szenen“ aus der Perspektive der kommunikativen Ethik, in: text und kritik (Anm. 1), S. 86-95, Zitat S. 95.
[8] Reinhard Baumgart, Gelassen, heiter, verzweifelt, in: text und kritik (Anm. 1), S. 59-69.
[9] Robert Gernhardt, Klassiker!, in: Daniel Keel (Anm. 4), S. 52-54, Zitat S. 53.
[10] Otto Waalkes, Zum Quietschen schön. Interview mit Susanne Hermannski, in: SZ-extra (Anm. 2).
[11] Vgl. Loriots Antwort im Interview mit Franziska Sperr / Jan Weiler, „Altern ist eine Zumutung“. Ein Gespräch, in: Daniel Keel (Anm. 4), S. 154-177, Zitat S. 172: „Was kommt nach dem Tod? Der Himmel, hoffe ich. Ich habe mir meinen Kinderglauben an den lieben Gott bewahrt. – Wissen Sie, was auf Ihrem Grabstein stehen soll? Zweckmäßig wäre es, wenn der Name darauf stünde.

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Allgemeines Humoriges Kirchliches Persönliches

Irgendwas dazwischen

Gott und die Welt? Flachwitz oder Heiliger Ernst? Klare Kante oder Kirchendiplomatie? Bernd Tiggemann oder Vicco von Bülow?

Na, irgendwas dazwischen! So heißt der Podcast, an dem Bernd und ich uns versuchen. Wir plaudern über alles, was uns so durch den Kopf geht. Über Gott und die Welt und – eben! – irgendwas dazwischen. Und hoffen, dass jemand zuhört.

Online unter „Irgendwas dazwischen“, bei Spotify, bei Apple Podcasts und überall, wo es gute Podcasts gibt.