Predigt am 27. Juli 2025 in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Martini-Gadderbaum in Bielefeld
Evangeliumslesung: Das Bekenntnis des Petrus. (Lukas 9,18-20)
18 Und es begab sich, als Jesus allein betete, waren seine Jünger bei ihm; und er fragte sie und sprach: Wer, sagen die Leute, dass ich sei? 19 Sie antworteten und sprachen: Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere aber, du seiest Elia; andere aber, es sei einer der alten Propheten auferstanden. 20 Er aber sprach zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach: Du bist der Christus Gottes!
Lied: Christus, dein Licht (Jacques Berthier)
Predigt:
Liebe Gemeinde!
I:
Wissen Sie, dass vorgestern ein ganz besonderer Tag war? Wir konnten ein 1700jähriges Jubiläum feiern. Denn am 25. Juli 325 ging das altkirchliche Konzil von Nizäa zu Ende. Auf diesem Konzil wurde ein Text beschlossen, der sich in diesen etwa 70 Generationen Menschenleben als das weltweit am meisten verbreitete Glaubensbekenntnis durchgesetzt hat. Sie finden es auch heute noch im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 854. Wir werden es gleich gemeinsam miteinander sprechen. Aber Sie können es schon jetzt einmal aufschlagen. Denn – jetzt mal ehrlich – wer von Ihnen hat vom sogenannten Nizänischen Glaubensbekenntnis schon einmal gehört? Bitte aufzeigen! Und wer hat es schon einmal gesprochen, vielleicht im Gottesdienst? Bitte aufzeigen! Und wer hat es verstanden? Während ich bei den ersten beiden Fragen guten Gewissens die Hand heben konnte, bin ich hier auch raus.
Insofern trifft auch für das Nizänische Glaubensbekenntnis zu, was die Ballastwache in ihrem Gottesdienst im März hier in Martini-Gadderbaum so gesungen hat: „All das glaub ich, aber doch auch irgendwie nich!“
„All das glaub ich, aber doch auch irgendwie nich!“ Was das in Bezug auf das Nizänische Glaubensbekenntnis bedeutet, was das in Bezug auf meinen Glauben bedeutet, was das in Bezug auf unseren Glauben bedeutet, darüber will ich in dieser Predigt gemeinsam mit Ihnen nachdenken. Es wird dabei etwas kirchengeschichtlicher als sonst hier in Martini üblich, aber ich sehe an Ihren Gesichtern, dass Sie heute dazu bereit sind.
II:
Also: Das Konzil von Nizäa. Eine frühchristliche Bischofssynode und zwar nicht nur eine, sondern die allererste. Das Konzil von Nizäa eröffnete die Reihe der sieben ökumenischen Konzilien, die von allen großen christlichen Konfessionen als gemeinsames Erbe anerkannt werden und deren Entscheidungen darum eine besondere Verbindlichkeit haben. Eingeladen hatte Kaiser Konstantin. Zum Konzil reisten fast 300 Bischöfe aus der damaligen christlichen Welt nach Nizäa, das heute Iznik heißt und ein kleiner Ort süd-östlich von Istanbul ist.
Dem Kaiser ging es wohl um die politische Einheit des Römischen Reiches, die er durch theologische Streitigkeiten gefährdet sah. Und außerdem befürchtete er vermutlich, dass Streit über die richtige Verehrung Gottes auch Gott verärgern könnte, was sich gleichfalls negativ auf das Wohlergehen des Reiches ausgewirkt hätte.
Wir empfinden es heute als befremdlich, dass ein Kaiser eine Synode eröffnet und leitet. Spätestens seit der Barmer Theologischen Erklärung 1934 während der Nazi-Herrschaft wissen wir, dass die Aufgaben von Staat und Kirche zu trennen sind, weil es beiden nicht gut tut, wenn sie miteinander vermischt werden. Trotzdem können wir anerkennen, dass die Leistung des Konzils von Nizäa erheblich war. Denn die Konzilsväter haben nicht nur eine Reihe von praktischen Entscheidungen getroffen, wie die Festlegung des Ostertermins auf einen Frühlingssonntag, sondern auch einen Abschlusstext in der Form eines Glaubensbekenntnisses formuliert.
III:
Und dieses Glaubensbekenntnis hat es in sich. Wegen der dreiteiligen Gliederung: Wir glauben den einen Gott, heißt es. Und das wird dann ausgeführt: Wir glauben an Gott den Vater, Gott den Sohn und Gott den Heiligen Geist. Durch diese Formulierung hielt man fest, dass es zum Wesen Gottes gehört, in sich selbst Vielfalt und Beziehung zu sein. Schon in sich selbst ist Gott beziehungsreich zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die Vorstellung der Dreieinigkeit macht Gott lebendig. Vater, Sohn und Heiliger Geist haben etwas miteinander zu tun. Das Glaubensbekenntnis von Nizäa sagt: Sie sind aufeinander bezogen, gehen voneinander aus und wirken miteinander an der Erlösung der Welt und der Menschen. Ein solches beziehungsreiches, lebendiges Gottesbild ist mir wichtig. Auch wenn ich nicht alles daran verstehe. Dabei bin ich aber in guter Gesellschaft: Der Reformator Philipp Melanchthon hat einmal geschrieben: „Die Geheimnisse der Gottheit sollen wir eher anbeten als erforschen.“ Und die Ballastwache singt: „All das glaub ich, aber doch auch irgendwie nich!“
Wobei man sich 325 in Nizäa auf den ersten und vor allem den zweiten Glaubensartikel konzentrierte. Im Originaltext hieß es im dritten Glaubensartikel ursprünglich bloß: „Wir glauben an den Heiligen Geist.“ Punkt.
Die weiteren Aussagen dazu sind 56 Jahre später bei einem weiteren Konzil hinzugefügt worden, nämlich 381 in Konstantinopel. Deshalb heißt das Glaubensbekenntnis, das wir gleich nach der Fassung im Evangelischen Gesangbuch sprechen, auch eigentlich korrekt und vollständig: Nicäno-Konstantinopolitanum. Ni-cä-no-Kon-stan-ti-no-po-li-ta-num. Probieren Sie das mal zu sprechen. Wer das hinterher beim Kirchcafé fehlerfrei hinbekommt, kriegt von mir einen Keks.
IV:
Doch zurück nach Nizäa 325. Den Aufwand, extra ein Konzil einzuberufen, hat man sich damals deshalb gemacht, weil es in den Jahren vorher theologischen Streit gab. Bekenntnisse fallen nie vom Himmel, sondern sind immer die konkrete Klärung einer theologischen Auseinandersetzung in der Kirche zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort.
Damals ging es wie so häufig um die Frage: Wer ist Jesus Christus? Inwiefern kann man den Menschen Jesus von Nazareth „Gott“ nennen? Eine Gruppe von Christen rund um den Priester Arius hatte argumentiert: Christus kann nicht auch so wie der Vater Gott sein, denn sonst hätten wir ja zwei Götter, und das widerspricht dem christlichen Monotheismus, also der Überzeugung, dass es nur einen Gott gibt. Arius meinte, Jesus sei von Gott geschaffen, ähnlich wie die übrige Schöpfung, er sei also nicht gleich ewig wie Gott.
Dagegen betonten Theologen um Bischof Eusebius von Nikomedien die absolute Göttlichkeit von Jesus, ohne darauf zu verzichten, von einem Gott zu sprechen. Denn sie argumentieren: Wenn Jesus nicht vollkommen göttlich war, dann hätte er die Menschheit auch nicht erlösen können. Nur wenn sich menschliche Natur ganz in göttliche Natur verwandelt, nur dann kann auch der Mensch ganz verwandelt werden und der Vergänglichkeit entrinnen, weil nur ein Gott uns erlösen kann.
Um diese Streitfrage zu klären, bezogen sich die Konzilsväter gut christlich auf die Bibel. Aber sie stellten fest, dass die ausgelegt werden muss. Wenn zu Beginn des Johannesevangeliums steht: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Was heißt das denn genau? „Das Wort“, das ist in diesem Fall ein Ausdruck für Jesus, war das nahe bei Gott – oder ist es mit ihm identisch? Wie ist die Beziehung des Vaters zum Sohn? Wenn in der Bibel, im Johannesevangelium, steht, dass Christus Gott sei oder göttlich sei, was bedeutet das konkret? Das wollte das Konzil klären. Und es hat auf Begriffe aus der griechischen Philosophie zurückgegriffen, um zu einem Kompromiss zu kommen. Im Mittelpunkt steht der Begriff „homoousios“, das heißt: wesensgleich oder „eines Wesens“.
Im Nizänischen Glaubensbekenntnis ist festgehalten, dass der Sohn „eines Wesens“ mit dem Vater ist. Was bedeutet das? Sie und ich sind auch wesensgleich, insofern wir alle Menschen sind, aber wir sind nicht komplett identisch. „Wesensgleich“ sollte zunächst einfach besagen, dass Gott und Jesus sozusagen aus dem gleichen göttlichen „Stoff“ sind, dass also Jesus nicht etwa von Gott aus dem Nichts geschaffen, sondern aus ihm selbst hervorgebracht, gezeugt worden ist. Man darf sich das „gezeugt“ nicht wörtlich vorstellen, sondern eher geistig. Geschaffen würde bedeuten: neu geformt, Gott ist der Handwerker. Gezeugt bedeutet: Jesus ist so aus Gott entstanden, so wie die Strahlen der Sonne aus der Sonne kommen, auch wenn sie nicht selbst die Sonne sind.
Überhaupt Licht. Hier wird das Nizänische Glaubensbekenntnis fast schon poetisch. Christus ist „Licht vom Licht“. Das knüpft an biblische Aussagen von Jesus Christus als dem „Licht der Welt“ an (Joh 8,12). Und es scheint weiter in Lieder wie „Christus, dein Licht“, das wir direkt vor der Predigt gesungen haben.
Wenn es im Nizänischen Glaubensbekenntnis darum geht, ob Jesus Christus tatsächlich „Gott von Gott“ war, dann geht es auch darum, ob Gott tatsächlich Mensch geworden ist. Ich finde es auch deshalb wichtig, als Christ heute daran festzuhalten, dass Jesus nicht einfach nur ein guter Mensch war. Jesus Christus gehört dazu, wenn ich sage: „Ich glaube an Gott.“
Habe ich damit alle Bedeutungstiefen des „homoousios“ erkannt und kann sie für mich übernehmen? Nein, es bleibt dabei, was die Ballastwache gesungen hat: „All das glaub ich, aber doch auch irgendwie nich!“
V:
Das Apostolische Glaubensbekenntnis, das im Gesangbuch eine Nummer vor dem Nizänischen steht, beginnt mit den Worten: „Ich glaube“. Ich muss eine Antwort geben auf die Frage des Jesus, die Sie vorhin in der Evangeliumslesung gehört haben: „Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“ Es reicht nicht, wenn ich versuche, mit einem Verweis auf die Meinung anderer Leute auszuweichen: „Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere aber, du seiest Elia; andere aber, es sei einer der alten Propheten auferstanden.“ Petrus hat sich getraut und Farbe bekannt: „Du bist der Christus Gottes!“ Und auch ich heute muss mich trauen und mich zu dem bekennen, was ich persönlich glaube. Das heißt nicht, dass dann alles zweifelsfrei feststeht. Sie wissen, was die Ballastwache gesungen hat: „All das glaub ich, aber doch auch irgendwie nich!“
Das Nizänische Glaubensbekenntnis bietet für mich eine Lösung an, mit dieser Spannung umzugehen. Es beginnt mit den Worten: „Wir glauben“. Ich kann mich in meinen Glauben getragen wissen durch diejenigen, die den Glauben mit mir zusammen bekennen. Manchmal kann ich Worte sprechen, die anderen nur schwer über die Lippe kommen, manchmal bekennen andere im „Wir glauben“ für mich mit.
Aber, so könnte man fragen, gerade hier in Martini-Gadderbaum, einer Gemeinde, die zu Recht stolz auf das Selber-Denken ist: Darf mir in Formeln vorgeschrieben, vorgesagt, vorgedacht werden, was ich glauben muss?
Ich würde gerne ein kleines Plädoyer für solche Bekenntnisformeln halten.
„Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“. Mit verdichteten Formeln wie diesen begann der christliche Glaube. Die ersten Christenmenschen haben sich solche Formeln gegenseitig zugerufen und daraus für ihren Glauben Kraft geschöpft. Es ist gerade nicht nur mein privater Glaube, dass Gott seinen Sohn von den Toten erweckt hat, sondern der Glaube der ersten Zeuginnen und Zeugen damals vor zweitausend Jahren in Jerusalem. Diese Glaubensformel trägt mich. Sie hilft mir als Bindeglied, als Teil einer großen Gemeinschaft von Glaubenden aller Zeiten und aller Orte auch persönlich zu glauben. Ohne gemeinsame Bekenntnisse als Voraussetzung gäbe es keinen privaten Glauben, ohne die Gemeinschaft aller Christenmenschen, die Kirche, keinen einzelnen Christenmenschen, nicht mich, nicht Sie.
Die Konzilsväter von Nizäa haben versucht, in einer theologischen Auseinandersetzung die Kirche um eine Kompromissformel zu versammeln. Theologische Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche gibt es bis heute, wird es wahrscheinlich immer wieder geben.
In solchen Auseinandersetzungen muss diskutiert werden. Martin Luther hat einmal dazu gesagt, dass man die Geister aufeinander platzen lassen muss. Und dann muss entschieden werden, auf Konzilien, also auf Synoden. Denn würde nicht entschieden, dann würde ein solcher Dauerstreit eine Kirche als Gemeinschaft lähmen. Durch solche Entscheidungen werden Grenzen markiert und auch Positionen aus der Kirche ausgegrenzt. Bestimmte Brandmauern zu bestimmten Positionen muss man ziehen und halten, wenn eine Gemeinschaft intakt bleiben will. Wenn eine Kirche bei dem bleiben soll, was ihr Jesus Christus aufgetragen hat.
Das heißt nicht, dass man immer genau bei den Worten bleiben muss, mit den beispielsweise vor 1700 Jahren dieser Auftrag gedeutet wurde. Das hat schon die Alte Kirche nicht getan. Wie schon erwähnt, hat man bereits 56 Jahre nach dem Konzil von Nizäa den Text des dortigen Glaubensbekenntnisses auf das Nicäno-Konstantinopolitanum erweitert. Und es folgten nicht nur fünf weitere ökumenische Konzilien, sondern auch weitere Glaubensbekenntnisse.
Immer wieder haben Christen und Christinnen in der Kirche darum gerungen, mit welchen Worten sie ihren gemeinsamen Glauben zusammen formulieren können. Es ist nicht einfach, das alte Bekenntnis mit neuen Worten auszudrücken. Gerade, wenn wir noch keine bessere Sprache haben, können wir uns beim Bekennen unseres Glaubens aber von alten Bekenntnistexten helfen lassen. Und weil das Nizänum ein so kluger theologischer Kompromiss auf biblischer Basis ist, lohnt es sich, es immer mal wieder zu sprechen. Auch dann, wenn nicht alle alles verstehen. Aber vielleicht, wenn man einen Text immer mal wieder spricht, eröffnen sich Chancen, ihm näher zu kommen. Und damit dem Verständnis dessen, was wir jeden Sonntag hier in Martini-Gadderbaum im Gottes-Dienst feiern.
Amen.
Nizänisches Glaubensbekenntnis EG RWL 854
Wir glauben an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
der alles geschaffen hat, Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen.
Wichtiger Hinweis: Alles, was ich in dieser Predigt über das Konzil und das Glaubensbekenntnis von Nicäa geschrieben habe, habe ich von Prof. Dr. Wolfram Kinzig (Bonn) und Prof. Dr. Christoph Markschies (Berlin) gelernt. Ich empfehle zum Einstieg die Lektüre des ZEIT-Interviews „Es tobte ein Streit um Jesus“ mit Prof. Kinzig und des Vortrags „Nicaea 325 n. Chr. – alte und neue Perspektiven auf ein Konzil und sein Glaubensbekenntnis“ (epd-Dokumentation 18/25) von Prof. Markschies. Alles, was ich Falsches über das Nizänum geschrieben habe, stammt von mir.
Und ich empfehle einen Besuch bei einem Auftritt der Betheler Kabarattgruppe „Ballastwache„.
Eine Antwort auf „„All das glaub‘ ich…““
Vielen Dank für die schöne Predigt!