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Kirchliches

Abendmahl_digital

Ein Beitrag zu kirche_digital für die Landessynode 2022 der Evangelischen Kirche von Westfalen. Grundlage für den gleichnamigen Podcast im Gespräch mit Pfarrer Moritz Gräper.

1. Lockdown Ostern 2020
Im Frühjahr 2020 überraschte die Corona-Pandemie die Gesellschaft und auch die Kirchen. Kurz vor Ostern wurde ein deutschlandweiter Lockdown ausgesprochen, in einigen Bundesländern wurden Gottesdienste explizit verboten, in anderen Bundesländern – zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen – verzichteten die Kirchen auf Bitten des Staates darauf, Präsenzgottesdienste durchzuführen. Das digitale Streamen von Gottesdiensten blieb aber möglich. Manche Gemeinden waren gut darauf
vorbereitet, andere gingen die Aufgabe spontan mit viel Engagement an. Schnell kam die Frage auf: Was ist mit dem Abendmahl? Am Gründonnerstag? Am Ostersonntag? Geht das auch digital? In einigen Landeskirchen wurde explizit von der online-Feier des Abendmahls abgeraten, andere ermunterten explizit dazu. In Westfalen gab es keine kirchenleitende Vorgabe. Ich selbst habe damals gedacht, dass ein zweiwöchiges Abendmahlsfassten zumutbar wäre. Schließlich ist nach evangelischem Verständnis ein Wortgottesdienst genauso viel wert wie ein Abendmahlsgottesdienst. Und vielleicht wäre nach einer Fastenzeit das Abendmahl den Christinnen und Christen um so wertvoller geworden.
Nun dauert die Fastenzeit nicht nur zwei Wochen, sondern zwei Jahre. Es geht nicht mehr um die Frage, was in der Notsituation erlaubt, möglich oder sinnvoll ist beziehungsweise was nicht erlaubt, nicht möglich oder nicht sinnvoll ist, sondern um die grundsätzliche Frage: Wenn digitale Gottesdienste mehr und mehr zum regulären Gottesdienstangebot gehören, gilt das dann auch für das digitale Abendmahl?


2. Kein neues Thema
Im Frühjahr 2020 gab es schnell eine intensive Debatte, ob so ein digitales Abendmahl überhaupt möglich sei. Interessanterweise wurde die Auseinandersetzung oft so geführt, als seien die theologischen Fragen völlig neu.
Dabei gab es schon vorher Überlegungen, auf die man hätte zurückgreifen können. Der alte Streit zwischen den griechischen Philosophen Platon und Aristoteles, in welchem Verhältnis Bilder und Wirklichkeit zueinander stehen. Die Auseinandersetzung der Reformatoren Luther und Zwingli darüber, wie denn nun die Präsenz von Leib und Blut Christi in den Elementen Brot und Wein beim Abendmahl zu denken sei. Aber auch jüngere Überlegungen zu der Frage, was die Digitalisierung mit der Gesellschaft macht. Auch in der Kirche gab es Menschen, die dazu vorgedacht hatten. Aber die Debatten darüber blieben zumeist im Raum weniger digitaler Insider. Das ist nun anders: Die Frage berührt weite Kreise der Kirche. Und es gibt noch keinen Konsens, wie die Antwort darauf lautet.
Manche haben „die Kirche“ in der Pandemie kritisiert, dass sie geschwiegen habe. Ich glaube, dass das auch für die wissenschaftliche Theologie gilt. Und angesichts einer Jahrhundertkrise dürfen auch Theologie und Kirche erst einmal ratlos sein.
Aber wir sollten uns nun gemeinsam beraten. Ich freue mich über alle, die an so etwas wie einem gelingenden Praxis-Theorie-Diskurs beteiligt sind. Und nicht an erfahrungsfreier deduktiver Theologie oder an theorieblinden Praxisexperimenten.


3. Wichtige Fragen
Nach meiner Beobachtung gibt es eine Reihe von wichtigen Fragen, die geklärt werden müssen. Und interessanterweise hat die erste Frage beim digitalen Abendmahl mit dem Abendmahl an sich zu tun.

3.1. Abendmahl und Gemeinschaft
Was ist eigentlich das Abendmahl? Schon vom Neuen Testament her gab es unterschiedliche mögliche Schwerpunktsetzungen. Im 20. Jahrhundert hat sich besonders der Gemeinschaftsaspekt im Abendmahl ins Zentrum gestellt. Und auch beim digitalen Abendmahl wurde zunächst vor allem über die Frage diskutiert, ob es online überhaupt eine Gemeinschaft geben
könne. Einige sagten, dass sie digital Gemeinschaft erfahren hätten und dass es deshalb selbstverständlich auch ein Online-Abendmahl gebe. Andere erwiderten: Für die Feier der Gemeinschaft, oder: für die Feier in der Gemeinschaft reiche auch das Agapemahl. Das Abendmahl brauche mehr als nur Gemeinschaft, nämlich die Präsenz Christi in den Elementen, also in der Materie.

3.2. Abendmahl und Präsenz
Es gibt verschiedene Formen eines medial übertragenen Abendmahls (Übertragungsabendmahl, z.B. im Fernsehgottesdienst – Hybrid-Abendmahl in Kirche und am Bildschirm – Konferenz-Abendmahl z.B. im Zoom-Gottesdienst u.a.). Vorausgesetzt wird bei allen Formen, dass beim digitalen Abendmahl tatsächlich Brot und Wein oder Traubensaft gegessen und getrunken werden. (Es geht hier also nicht um reine Avatar-„Abendmahle“ z.B. in Second Life. Dort fehlt jegliche Materialität der Elemente.)
Dann gibt es vor allem zwei Fragen, die geklärt werden müssen:
-Ist eine raumzeitliche (Ko-)Präsenz der versammelten Gemeinde nötig?
– Ist eine raumzeitliche (Ko-)Präsenz zu den Elementen und zu ihrer Einsetzung nötig?

Es gibt Theolog:innen, die beide Fragen bejahen. Für sie ist ein digitales Abendmahl nicht möglich, allenfalls in einer „Schwundstufe“ als Agapemahl.
Ich gehöre zu denen, die ein digitales Abendmahl für möglich halten. Und zwar nicht nur, weil es praktiziert wurde, sondern auch, weil es theologisch denkbar ist. Darüber muss aber gestritten werden. Und wer die Geschichte der evangelischen Theologie und Kirche anschaut, merkt, dass der Streit über das digitale Abendmahl gut evangelisch ist: Vielleicht ist über kein
Thema so viel theologisch gestritten worden wie über das Abendmahl – von der Trennung zwischen Luther und Zwingli 1529 in Marburg bis zur Debatte über das Abendmahl für Kinder und mit Traubensaft in der EKvW zuletzt 2015 bis 2019.

3.2.1. Ist eine raumzeitliche (Ko-)Präsenz der versammelten Gemeinde nötig?
Schon die Liturgie der traditionellen Abendmahlsfeier zeigt auf, dass das Abendmahl theologisch Zeit und Raum überschreitet: „Darum preisen wir dich mit allen Engeln und Heiligen und singen vereint mit ihnen das Lob deiner Herrlichkeit.”
Wer online-Gottesdienste mitgefeiert hat, wird zweierlei erfahren haben: Es gibt Gemeinschaft der versammelten Gemeinde in dieser digitalen Form. Und: Es ist eine defizitäre Gemeinschaft. Das gilt auch für das digitale Abendmahl: Es fehlt etwas.
Aber es ist zu Recht darauf hingewiesen worden (u.a. von Matthias Kreplin), dass auch das traditionelle Präsenz-Abendmahl defizitär war und ist: Angefangen davon, dass es nicht mehr wie in biblischen Zeiten ein Sättigungsmahl am Abend ist, bis hin dazu, dass die verbreitete Form des Wandelabendmahls auch nur eine reduzierte Gleichzeitigkeit ist. Und umgekehrt ist trotz aller reduzierten Nähe in der digitalen Variante in vielen online-Varianten eine stärkere Interaktion möglich, sind Kameras
so nah an Gesichtern, dass Nähe empfunden wird. Und rezeptionsästhetisch ist diese Empfindung von Nähe durchaus auch
theologisch bedeutsam.

3.2.2. Ist eine raumzeitliche (Ko-)Präsenz zu den Elementen und zu ihrer Einsetzung nötig?
Die Einsetzung von Brot und Wein als Leib und Blut ist beim online-Abendmahl medial vermittelt. Und ebenso gilt doch: „Entscheidend für eine stiftungsgemäße Abendmahlsfeier ist nach evangelischem Verständnis, dass das (biblisch) bezeugte Wort der Zusage Christi erklingt und von allen, die es kommunizieren, gehört bzw. ‚verstanden‘ werden kann“ (Jochen Arnold). Das ist im digitalen Abendmahl möglich.
Sicher bleibt im derzeitigen Verständnis von digitalen Abendmahlsformen manche Frage nach der genauen Präsenz Christi in den Elementen offen. Aber das, was die Leuenberger Konkordie zur Überwindung der Gegensätze zwischen reformiertem und lutherischem Abendmahlsverständnis gesagt hat, gilt auch für die Frage nach der Präsenz Christi im digitalen Abendmahl. In Artikel 19 der Leuenberger Konkordie heißt es: „Die Gemeinschaft mit Jesus Christus in seinem Leib und Blut können wir nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser
Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.“
Von diesem Akt des Essens und Trinkens her gedacht: Nach lutherischem Verständnis werden Brot/Wein (Traubensaft) erst im Akt des Glaubens (des Empfängers!) zu Fleisch/Blut. Das ist ein enormer Schritt. Kann der Glaube nicht auch den Schritt gehen und über die digitale Distanz hinweg Christus als präsent empfangen? So groß scheint dieser zweite Schritt im Vergleich zum ersten gar nicht mehr zu sein.

4. Noch wichtigere Fragen
Seit dem Beginn der Pandemie scheint das Abendmahl generell an Bedeutung verloren zu haben. In den Zeiten ohne Präsenzgottesdienste und in denen mit einschränkenden Regeln (Maske, Abstand, Testung) gab es in der EKvW viele Fragen nach dem Singen und wie es trotzdem möglich sein könnte. Es gab ebenfalls viele Fragen nach dem Segen mit Handauflegen und wie er trotzdem möglich sein könnte, aber nur wenige Fragen nach dem Abendmahl und wie es trotzdem möglich sein könnte. Beobachter haben eine „eucharistische Appetitlosigkeit“ diagnostiziert. Die zentrale Frage scheint mir derzeit nicht zu sein, ob ein digitales Abendmahl sinnvoll oder gar erlaubt sein kann, sondern wie die Christ:innen in unseren Gemeinden überhaupt wieder entdecken, dass Abendmahl sinnvoll sein kann und gut tut, dass sie wieder Appetit auf das Abendmahl
bekommen und dadurch entdecken, was an Gemeinschaft, was an Segen, was an Heil im Abendmahl liegen kann.
Wenn das digitale Abendmahl dazu beiträgt, dann halte ich es nicht nur für erlaubt, sondern für erwünscht. Nicht als einzige, aber als eine Form des Abendmahls. Was mir aber wichtig ist: Dass wir wissen, was wir tun. Und dass wir das, was wir tun, würdig tun. Was würdige Formen des digitalen Abendmahls sind, das lohnt sich m.E. zu erproben.

Weiteres zum Thema:

  • Digital – parochial – global?! Ekklesiologische Perspektiven im Digitalen Workshopreihe der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Kooperation mit der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Evangelischen
    Akademie der Pfalz: Workshop II – Abendmahl, 29. Januar 2021, epd-Dokumentation Nr. 11/2021.
  • Christoph Markschies, Gottesdienst und Medialität (Vortrag bei der Liturgischen Konferenz, Hildesheim, 6. September 2021), in: epd-Dokumentation Nr. 38/2021
  • Christoph Schrodt, Abendmahl: digital. Alte und neue Fragen – nicht nur in Zeiten der Pandemie, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 118 (2022), 495-515