Grußwort als theologischer Ortsdezernent
zur Kreissynode des Ev. Kirchenkreises Herford
am 19.03.2022 (hier als Video online)
Hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder in und um Herford,
gleich zu Beginne einmal tue ich das, was so ein Grußwort der Wortbedeutung nach tut: Ich grüße Sie herzlich von Präses Kurschus und dem juristischen Ortsdezernenten Thomas Heinrich.
Normalerweise würde ich in meinem Grußwort fortfahren und sagen, wie sehr ich mich freue, heute zu Ihnen sprechen zu können.
Ich gestehe: Heute am 19. März 2022 ist mir gar nicht so sehr danach zumute. Vor genau einem Jahr lag die Corona-Inzidenz bei 96. Heute bei 1735. Also 20mal so viel. Und ab morgen gilt ein Infektionsschutzgesetz, mit dem der Bund so gut wie alle Vorsichtsmaßnahmen komplett aufhebt. Wie wird das werden?
Und vor allem: Seit drei Wochen ist Krieg. Heute morgen hat die EU-Kommission angesichts der anhaltenden Kämpfe in der Ukraine vor einer Hungersnot gewarnt und von „apokalyptischen Zuständen“ gesprochen. Wie wird das werden?
Alles kein Grund zur Freude. Wir haben das ja gerade auch in der Morgenandacht gehört. Mir geht es da ähnlich:
Meine friedensethischen Überzeugungen sind mir aus der Hand geschlagen bzw. gebombt worden: Wandel durch Handel, Wandel durch Annäherung, Frieden schaffen nur ohne Waffen. Das geht gerade in Mariupol und in Charkiw und in Kiew unter. Der Ukraine helfen keine Pflugscharen. Ich bin aber auch nicht bereit, zu akzeptieren, dass Gewalt und Gegengewalt die einzige Lösung sind. Ich verstehe und unterstütze, dass die Bundeswehr mehr Geld braucht und robuster ausgestattet werden muss. Aber ich könnte auch nicht jubelnd aufspringen und die 100 Milliarden Sondervermögen des Bundes für militärische Aufrüstung beklatschen.
Ich befinde mich in einem Dilemma. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und ich vermute, das geht manchen von Ihnen ähnlich.
Vielleicht bleibt mir aktuell nur noch ein Sprachmodus. Das Gebet. Unsere Gebete machen –mehr als alle klugen theologische Abhandlungen – deutlich, welche Hoffnung wir auf Gott setzen, was wir von ihm erwarten und ihm zutrauen. In unseren Klagen wie in unseren Bitten und Fürbitten trauen wir Gott etwas zu, deshalb wird nicht nur geklagt, sondern auch um ein Ende der Not gebetet. Ich lasse Gott da nicht raus!
Mit der Klage wagen wir mit Gott zu ringen. Indem das Elend Gott geklagt wird, gibt es einen Adressaten angesichts des Leides, das nicht stoisch, gelassen oder stumm hingenommen werden muss. Ich will das Leid in der Ukraine nicht hinnehmen, sondern beklagen. Genauso wenig wie die Tode durch Corona. Wir wissen: Ein Verstummen in der Not ist problematisch, manchmal verschärft es psychische Krisen oder es bricht als Suche nach Sündenböcken aus uns Menschen heraus. Das kann problematische Folgen haben, in der Pandemie etwa durch Verschwörungsmythen und auch einen neuen Antisemitismus in Teilen der sog. „Querdenker-Szene“. Im Ukraine-Krieg etwa dadurch, dass nun alle Russen als Bösewichter angesehen werden. Das ist natürlich falsch und Unsinn. Wir hören an vielen Stellen derzeit von Streitigkeiten zwischen Ukrainern und Russlanddeutschen, auch hier in Westfalen. Meine Bitte an Sie: zeigen Sie ihren russlanddeutschen Gemeindegliedern, dass sie zu uns gehören – und dass Sie differenzieren können zwischen ihnen und Putins Elite. „Die Russen“ gibt es nicht.
In den biblischen Klagen findet sich fast immer am Ende ein gleichsam vorweggenommenes Lob Gottes. Die Losung für den heutigen Tag ist so ein Fall: In Jona 2,7 steht:
Du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, HERR, mein Gott!
Das ist das Gebet, das Jona zu Gott spricht, als er mitten im Bauch des großen Fisches steckt. Und das mit den Worten beginnt „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst.“
Wenn wir während des Krieges und der Corona-Zeit Gott anrufen in unserer Angst, dann können wir trotz und gerade in dieser Zeit Gott danken, etwa dafür, wie Menschen durch den Gebrauch der Vernunft Gegenmittel (also Impfstoffe) gegen die Pandemie entwickelt haben. Wir dürfen Gott loben für die Hilfsbereitschaft von Menschen in Deutschland und anderswo, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, Geld spenden, für den Frieden demonstrieren. Vielen Dank an Sie im Kirchenkreis Herford, dass Sie das bereits tun. Gestern habe ich mit Landrat Müller telefoniert, der mir berichtet hat, dass er dazu in gutem Kontakt mit dem Kirchenkreis steht.
Hohe Synode, liebe Schwestern und Brüder in und um Herford,
Sie haben wie immer ein volles und hochinteressantes Programm auf der Kreissynode. Gestern war ich bei der Kreissynode im benachbarten Kirchenkreis Vlotho, deshalb konnte ich den Vortrag von Frau Pohl-Patalong nicht live miterleben. Ich bin aber froh, dass ich das online nachschauen kann, denn das Thema ist ja so wichtig: Wie können wir die Kirche heute so gestalten, dass wir in 20 Jahren immer noch Gestaltungsmöglichkeiten haben?
Die entsprechenden Themen stehen bei Ihnen auf der Tagesordnung:
Personalplanungsräume für den Pfarrdienst / Interprofessionelle Pastoral-Teams / Verantwortlicher Umgang mit Finanzen / Ein gutes Verhältnis von Kirche und Diakonie / Ein hilfreich arbeitende Verwaltung / Ein funktionierendes IT-System / Strukturen für eine Kirchenmusik zum Lobe Gottes
Kirchenmusik. Ich muss und will zum Schluss auf diesen Punkt noch besonders zu sprechen kommen. Superintendent Reinmuth hat gestern abend im Zusammenhang mit dem Bericht zur Einrichtung des Kreiskantorats darauf hingewiesen, dass die Kirchenleitung am Donnerstag eine Entscheidung in der Standortfrage der Hochschule für Kirchenmusik getroffen hat. Die beiden Standorte der Hochschule sollen an einem Standort auf dem Campus der Evangelischen Hochschule in Bochum zusammengeführt werden. Zeitliches Ziel ist 2025.
Die Kirchenleitung hat es sich nicht leicht gemacht mit dem Entschluss, weil viele Faktoren eine Rolle gespielt haben. Keine der zur Wahl stehenden Varianten ist ohne Nachteile zu haben. Ich bin froh, dass die Variante mit dem größten Nachteil nicht beschlossen wurde: Die komplette und ersatzlose Schließung beider Standorte stand bis zuletzt ernsthaft zur Diskussion. Und deshalb bin ich froh darüber, dass die Kirchenleitung so beschlossen hat, wie sie es getan hat. Denn ich kann mir Kirche ohne Kirchenmusik und die Ausbildung von Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern nicht vorstellen.
Aber jede Medaille hat zwei Seiten: Auf der anderen Seite dieser Standortentscheidung stehen die Kosten, die sie mit sie bringt – die aber auch bei der Fortführung der beiden bisherigen Standorte entstanden wären. Und auf der anderen Seite steht auch der Verlust für den Kirchenkreis Herford und die Region Ostwestfalen. Das sehe ich deutlich und das hat die Kirchenleitung gesehen – das war ja einer der Gründe, warum es mit der Entscheidung so lange gedauert hat. Superintendent Reinmuth hat gestern davon gesprochen, dass er das bitter findet. Und ich vermute, dass das vielen von Ihnen ähnlich geht. Wir haben für den heutigen Vormittag vereinbart, dass eine Aussprache zu dem Thema im Zusammenhang mit seinem Superintendentenbericht erfolgen soll. Ich werde auch dabei sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche gute Beratungen und über allem Gottes Segen.