Predigt am 14.08.2022 (9. S. n. Tr.) in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Gehlenbeck anlässlich des 125(+1)jährigen Jubiläums des Posaunenchors
(mit Dank an Lars Hillebold für die inspirierende Göttinger Predigtmeditation zum Text!)
Liebe Gemeinde,
na super. Seit Monaten freue ich mich darauf, hier in Gehlenbeck die Festpredigt zum 125jährigen Jubiläum des Posaunenchors zu halten. Coronabedingt hat das immer wieder verschoben werden müssen. Zuletzt im März, weil da kaum ein Posaunenchor da gewesen wäre, dessen Jubiläum man hätte feiern können. Im August passt’s endlich für alle. Die Sonne scheint, die Kirche ist voll. Und dann: nichts als Heulen und Zähneklappern. Na super.
Das hat man davon, wenn man sich an den Predigttext hält, der für diesen 14. August, den 9. Sonntag nach Trinitatis, vorgeschlagen ist. Der läuft nämlich auf das Heulen und Zähneklappern hinaus. Auf das Wehklagen und Zähneknirschen. Auf das laute Jammern und das angstvolle Zittern und Beben. Je nachdem, welche Übersetzung man so nimmt.
Ich lese Ihnen das Gleichnis von den anvertrauten Talenten nach der Neuen Genfer Übersetzung vor, der Predigttext steht im Matthäusevangelium, im 25. Kapitel (V. 14-30):
14 Es [Das Himmelreich] ist wie bei einem Mann, der vorhatte, in ein anderes Land zu reisen. Er rief seine Diener zu sich und vertraute ihnen sein Vermögen an.
15 Einem gab er fünf Talente, einem anderen zwei und wieder einem anderen eines – jedem seinen Fähigkeiten entsprechend. Dann reiste er ab.
16 Der Diener, der fünf Talente bekommen hatte, begann sofort, mit dem Geld zu arbeiten, und gewann fünf weitere dazu.
17 Ebenso gewann der, der zwei Talente bekommen hatte, zwei weitere dazu.
18 Der aber, der nur ein Talent bekommen hatte, grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.
19 Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück und forderte seine Diener auf, mit ihm abzurechnen.
20 Zuerst kam der, der fünf Talente erhalten hatte. Er brachte die anderen fünf Talente mit und sagte: ›Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; diese fünf hier habe ich dazugewonnen.‹ –
21 ›Sehr gut‹, erwiderte der Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist mit dem wenigen treu umgegangen, darum will ich dir viel anvertrauen. Komm herein zum Freudenfest deines Herrn!‹
22 Dann kam der, der zwei Talente erhalten hatte. ›Herr‹, sagte er, ›zwei Talente hast du mir gegeben; hier sind die zwei, die ich dazugewonnen habe.‹ –
23 ›Sehr gut‹, erwiderte der Herr, ›du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist mit dem wenigen treu umgegangen, darum will ich dir viel anvertrauen. Komm herein zum Freudenfest deines Herrn!‹
24 Zuletzt kam auch der, der ein Talent bekommen hatte. ›Herr‹, sagte er, ›ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.
25 Deshalb hatte ich Angst und vergrub dein Talent in der Erde. Hier hast du zurück, was dir gehört.‹
26 Da gab ihm sein Herr zur Antwort: ›Du böser und fauler Mensch! Du hast also gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe.
27 Da hättest du mein Geld doch wenigstens zur Bank bringen können; dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückbekommen.‹
28 ›Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat!
29 Denn jedem, der hat, wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.
30 Doch diesen unnützen Diener werft in die Finsternis hinaus, dorthin, wo es nichts gibt als lautes Jammern und angstvolles Zittern und Beben.‹
Tja. Da hab‘n wir’s: lautes Jammern und angstvolles Zittern und Beben. Der heutige Predigttext nimmt so gar keine Rücksicht darauf, dass wir hier ein Jubiläum feiern wollen.
Aber eigentlich weiß ich, und Sie wissen das auch: Die Bibel ist nicht für den Posaunenchor und sein Jubiläum da. Sondern der Posaunenchor ist für die Bibel da und für die Verkündigung des Gottes, der sich in dieser Bibel offenbart. Da könnte man sagen: Pech für den Prediger, Pech für die Festgemeinde.
Doch ich will mich damit nicht zufrieden geben. Deshalb zwei Versuche, sich dem heutigen Predigttext anders zu nähern. Der erste: Gibt’s da nicht noch mehr in Matthäus 25 als nur Heulen und Zähneklappern? Der zweite: Gibt’s da nicht noch mehr im Matthäus-Evangelium als nur diesen Text?
Der erste Versuch: Gott und die Menschen in Matthäus 25.
Ja, es stimmt, der Predigttext über die drei Diener, ihre Talente und ihren Herrn endet mit Heulen und Zähneklappern. Er besteht aber nicht nur daraus. Bei zwei von drei Dienern geht die Sache gut aus. Richtig gut.
Diese beiden Diener bekommen von ihrem Herrn vor dessen großer Reise einen Teil seines Vermögens zur Verwaltung. Und wenn man mal genauer nachrechnet, sind 1 Talent 6000 Denare. Und 1 Denar ist nach dem Gleichnis der Arbeiter im Weinberg (Mt 20) 1 Tageslohn. Der erste Diener bekommt also über 80 Jahresgehälter, der zweite Diener immerhin über 30 Jahresgehälter. Sie legen sie klug an und verdoppeln die Summe. Und als ihr Herr zurückkommt, können sie ihm über 220 Jahresgehälter übergeben.
Das sind Dimensionen, die sind so irreal hoch, dass man schnell merkt: Es geht hier eigentlich gar nicht ums Geld. Sorry, liebe anwesende Bankkaufleute. Es geht um die andere Bedeutung des Wortes „Talent“, das Martin Luther noch mit „Zentner“ übersetzt hat. Es heißt auch Begabung, Leistungsfähigkeit, Potenzial.
Es geht also darum, was wir mit unserem Potenzial machen, mit den Fähigkeiten, mit denen wir begabt worden sind. Die ersten beiden Diener haben den Mut, etwas zu riskieren. Sie setzen ihre Talente ein. Und weil das klappt, werden sie von ihrem Herrn belohnt. Allerdings nicht etwa mit einer gut dotierten Pension, damit sie sich zur Ruhe setzen können. Sondern mit einem noch größeren Auftrag. Ein jüdischer Spruch aus der damaligen Zeit lautet: „Der Lohn für die Gebotserfüllung ist (weitere) Gebotserfüllung“. Gottes Gabe kann also nie ruhender Besitz sein, sie muss leben und weiter wirken. Gerade wenn man viel Talent hat. Ob das nun das Talent zum Musizieren ist. Oder das Talent zum Zuhören. Das Talent zum Organisieren. Oder das Talent zum kritischen Nachfragen. Es geht darum, dass wir etwas mit den Begabungen machen, die uns Gott geschenkt hat. Einige Begabungen feiern wir heute besonders. Aber ich bin mir sicher, dass Gehlenbeck noch mehr Talente hat, die darauf warten, zum Einsatz zu kommen.
Und dann steht über diesem Einsatz die Verheißung, dass der Herr sagt: „du bist ein tüchtiger und treuer Diener“. Das Wort „treu“ in seiner griechischen Wurzel bedeutet eigentlich „gläubig“. Wer glaubt, setzt seine von Gott geschenkten Talente fruchtbar ein.
Eigentlich, liebe Gemeinde, wäre es schön, wenn der Predigttext jetzt enden würde. Aber nach den ersten beiden kommt der dritte Diener. Der geht anders vor. Er verschleudert das Geld nicht, riskiert nicht den Komplettverlust. Auf eine gewisse Art und Weise handelt er durchaus verantwortungsbewusst. Wenn auch zu passiv, zu defensiv. Und das wirft ihm der Herr vor: Du hättest dein Talent zur Bank bringen können, um zumindest den Minimalzins zu bekommen. Aber nein: Er steckt den Kopf und die Gaben in den Sand. Und dann wird ihm sein Talent genommen.
Und zwar nicht deshalb, weil er nichts hat, sondern weil er nichts getan hat. Der Herr schimpft ihn einen bösen und faulen Diener. Das Wort „faul“ heißt hier eigentlich „ängstlich“. Und tatsächlich hat dieser Diener Angst vor dem Herrn. Er sagt es selbst: „du bist ein harter Mann“. Und wie bei einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung erweist sich der Herr dann als hart – dem Diener wird sein übriggebliebenes Talent genommen. Er wird in die Finsternis geworfen. Es bleiben Heulen und Zähneklappern.
Die eigentliche Ursache ist also das Bild, das der Diener von seinem Herrn hat. Welches Bild habe ich von Gott? Welches Bild haben Sie? Ich glaube, dass es die dunklen Seiten Gottes durchaus gibt. Gott ist nicht nur eia-popeia-lieb; Gott ist nicht harmlos. Aber trage ich als Gottesbild nur das Gottesklischee vom „harten Mann“ in mir? Dann könnte auch mich die sich selbst erfüllende Prophezeiung erwischen.
Mein erster Versuch, mit dem angstvollen Jammern und Zittern und Beben umzugehen, ist offenbar noch nicht genug. Deshalb nun der zweite.
Bei meinem zweiten Versuch, den Predigttext aus Matthäus 25 zu verstehen, hole ich mir Hilfe von zwei weiteren Texten aus dem Matthäusevangelium. Martin Luther hat ja einmal gesagt, dass die beste Bibel-Auslegung die Bibel selbst ist.
Fünf Talente und zwei Talente? Erinnern Sie diese Zahlen an was? Im 14. Kapitel des Matthäusevangeliums wird von fünf Broten und zwei Fischen erzählt, die die Jünger miteinander und mit der Volksmenge teilen. Und so vermehren sie sie, dass alle satt werden und am Ende noch ganz viel übrig bleibt.
Wie wäre es, wenn die Diener nicht einzeln für sich gewirtschaftet, sondern sich zusammengetan hätten? Wenn der erste und der zweite Diener dem dritten geholfen hätten? Und zwar so, dass alle satt werden und am Ende noch ganz viel übrig bleibt. Wenn der erste Diener seine fünf Brote, fünf Talente eingebracht hätte, der zweite Diener seine zwei Fische, Talente. Und wenn sie dann den dritten Diener aus seiner Ängstlichkeit herausgeholt hätten. Ihm ihre Vision eines freundlichen und großzügigen Gottes vermittelt hätten. Dann hätten sie zu dritt aus 8 Talenten 15 gemacht.
Die Talente mit den anderen teilen und sie so vermehren. Das wäre eine Vision von kirchlicher Gemeinschaft, die mir wesentlich besser gefällt, statt dass die einen immer mehr kriegen und die anderen immer weniger.
Wir können unsere Begabungen gemeinsam vermehren. Im Chor klingt jede Stimme besser als bloß alleine.
Und ein zweiter Text. Ich will vom Ende her denken. Von Matthäi am letzten. In Matthäus 28 sagt der auferstandene Herr Jesus seinen Jüngern zu, bei ihnen zu sein alle Tage bis ans Ende der Welt.
Das ist mein Taufspruch. Aber nicht nur mein Taufspruch, sondern auch mein Gottesbild: Ein Gott, der bei mir ist. Das stärkt mich. Das motiviert mich dazu, meine Talente einzusetzen. In meiner Welt und in meiner Kirche. Denn ich weiß: Beide haben es nötig. Die Welt und die Kirche.
Und ich weiß: Ich habe es nötig. Meine ängstlichen Gottesklischees abzubauen. Meinen Kopf und meine Talente aus dem Sand zu ziehen. Zu sehen, wieviele Schwestern und Brüder sich mit mir in dieser Kirche engagieren, wieviele wunderbare Begabungen wir gemeinsam haben. Und wie wir miteinander unsere Talente vermehren können.
Und so schließe ich mit dem Lied, das wir vor der Predigt gesungen haben (Ulrich Kaiser, EG RWL 668). Die letzte Strophe lautet:
„Wir wolln gehen an alle Enden, wir wolln gehen mit Jesus Christ, geben auch mit offnen Händen, was uns selbst gegeben ist.“
Amen.