Predigt am 12.09.2021 zur Wiedereröffnung des Gemeindezentrums Auferstehungskirche in Arnsberg
Liebe Gemeinde,
oh happy day – was für ein toller Tag!
Wie lange haben Sie Ihre Auferstehungskirche während des Umbaus nicht nutzen können. Das war schon eine Durststrecke. Aber immer mit dem Ziel vor Augen: Wenn die Kirche fertig ist und die Gemeinderäume mit im Haus sind, ja dann… Und dann, als sie fertig war und die ganzen Mühen vorbei waren, konnten Sie das nicht mal richtig feiern – Corona.
Aber jetzt: Oh happy day!
Ich bin heute aus Bielefeld zu Ihnen nach Arnsberg gekommen, um diesen happy day mit Ihnen zu feiern. Und ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Erkennen Sie es? Das Innere eines Ü-Eis. Das eigentlich Besondere an dieser Süßigkeit.
Nun können Sie ja fragen: Warum kommt der von Bülow aus dem Bielefelder Landeskirchenamt hierher? Wegen so eines kleinen gelben Dings?
Ich will Ihnen erzählen warum. Das hängt mit dem zusammen, was in dem kleinen gelben Dings drin ist. Ein Zettel. Darauf steht: „Wenn Gott nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“ Psalm 127,1. Wir haben das vorhin gemeinsam gebetet. Der Psalm des heutigen 15. Sonntags nach Trinitatis. Was könnte passender sein für diesen Happy Sunday?
Es gibt übrigens einen Zwilling für dieses Ü-Ei mit dem Psalm-Spruch. Das liegt im Fundament des Hauses meiner Familie in Bielefeld. Während der Bauzeit haben mir meine Eltern einen Zettel mit diesem Vers mitgebracht und weil wir gerade nichts anderes da hatten, haben wir Psalm 127,1 mit einer gelben Ü-Ei-Hülle im Fundament versenkt. Seit 10 Jahren wohnen wir also auf diesem Fundament und es sollen noch viele Jahre werden. Das kleine gelbe Dings symbolisiert meinen Wunsch, dass auch Ihr Haus, diese Kirche nämlich, ein gutes Fundament hat und sie sich viele, viele Jahre darauf verlassen können.
Das Ü-Ei steht aber auch symbolisch für ein noch kleineres gelbes Dings. Im für heute vorgeschlagenen Predigttext aus Lukas 17 (5f.) kommt es in einem ganz kurzen Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern vor:
5Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! 6Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und verpflanze dich ins Meer!, und er würde euch gehorsam sein.
Senfkörner sind sehr klein. Wir kennen sie alle aus den Gläsern mit Essiggurken. Die kleinen gelben Punkte, die da herumschwimmen, sind Senfkörner.
Maulbeerbäume sind in unseren Breiten nicht ganz so bekannt. Sie sind auf jeden Fall Bäume – so habe ich nachgelesen – die sehr tiefe Wurzeln treiben und auch noch voller Dornen sind. Sechs bis fünfzehn Meter werden sie hoch. Ein äußert unangenehmes Gewächs, um es auszureißen – zur damaligen Zeit galt dies sogar als unmöglich.
In anderen Fassungen dieses Jesus-Worts versetzt der senfkorngroße Glaube keine Maulbeerbäume, sondern Berge. Aber egal ob Baum oder Berg – eigentlich geht es ja um den Glauben.
Wie stark ist eigentlich Ihr Glaube? Können Sie das sagen? Beispielsweise auf einer Skala von 1-10? Wo würden Sie sich einordnen?
Im unteren Bereich? 1-3, na das wäre ziemlich schwach, ein bisschen mehr würde ich Ihnen zutrauen.
Sagen, wir im mittleren Bereich, da sollten wir eigentlich hinkommen, oder? Mindestens so 4-6; mit ein wenig Frömmigkeit schafft man das.
Vielleicht geht noch mehr? 7,8,9 oder gar 10? Ein bisschen Luft nach oben muss ja bleiben. Und überhaupt: wenn wir schon 8 oder 9 hätten, wo stünde dann Martin Luther, oder Dietrich Bonhoeffer, oder Mutter Theresa…?
Als Landeskirchenrat sollte ich doch mindestens auf eine 7 kommen, oder?
Ehrlich gesagt, wenn ich mich an diesem Spruch messe, dann muss ich ehrlich sagen: Ich habe gar keinen Glauben. Null. Nicht mal so groß wie ein Senfkorn. Niemals hat sich bei mir ein Berg auch nur einen Zentimeter bewegt. Ich habe auch nie versucht, zu einem Maulbeerbaum zu sagen: „Reiß dich aus und versetze dich ins Meer.“ Echt jetzt, Jesus? Ich glaube einfach nicht daran, dass der Baum mir gehorchen würde. Und wenn ich mich tatsächlich vor einen Baum stellen und zu ihm so sprechen würde – mit dem ehrlichen Glauben, dass er tut, was ich ihm befehle – , dann wäre ich wohl ein Fall für die Psychiatrie.
Und dann hätte ich auch die Bibel nicht genau genug verstanden.
Schließlich wird mehrfach im Alten Testament, zum Beispiel beim Propheten Jesaja (Jes 40,3-5. 49,11. 54,10) davon gesprochen, dass das Bewegen der Berge allein Gottes Sache ist. Am Ende der Zeiten.
Und der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth (1. Kor 13,2), dass selbst ein Berge versetzender Glaube nichtig ist, wenn die Liebe fehlt. Das gilt dann auch für den Glauben, der Maulbeerbäume versetzen soll.
Irgendwie klingt die Antwort Jesu so übertrieben, ja falsch. Vielleicht liegt das daran, dass schon die Frage der Jünger irgendwie falsch ist. Vielleicht kann man die Stärke des Glaubens gar nicht an einer Skala von 1 bis 10 ablesen. Glauben ist nicht skalierbar. Ein „stärkerer“ Glaube wäre wie: Mehr Urlaubstage für einen Mann, der am Sinn seiner Arbeit zweifelt. Naheliegend, irgendwie wünschenswert und doch nur eine Ausflucht. Weil die Dosis nicht zählt. Weil solche Erfahrungen die Vorstellung von gradueller Steigerung ad absurdum führen. Es gibt nicht ein bisschen tot. Versuchsweise retten. Im Ansatz gewiss. Ein Stück weit sicher. Alles nicht möglich.
Der Soziologe Armin Nassehi versteht den Glauben als Umgang mit dem Unbestimmten. Und er sagt: Dieser Umgang mit dem Unbestimmten ist nicht organisierbar. Die Kirche macht einen Fehler, wenn sie das versucht. Vielleicht hat er Jesus ganz gut verstanden. Mit seiner absurden Antwort vom Maulbeerbaum, der ins Meer fliegt, macht er deutlich, wie absurd es ist, die Stärkung des Glaubens organisieren zu wollen.
Vorhin habe ich gesagt, dass auf der Glaubensskala von 1 bis 10 Martin Luther wohl zu denen gehören würde, die ganz oben stehen. Aber wenn man genauer hinsieht, ist Luther eben nicht der Glaubensheld, von dem wir heute einfach nur zu lernen brauchen, wie man Maulbeerbäume ausreißt. In einem Brief an einen Freund (Nikolaus von Amsdorf) schreibt er am 1. November 1527, dass ihm ganz und gar nicht heldenhaft zumute ist: „Draußen sind Kämpfe, inwendig Schrecken, und zwar herbe; auswendig Streit – inwendig Furcht.“ Das war die Zeit, in der in Wittenberg die Pest wütete. Familie Luther öffnete ihr Haus für Freunde und Schüler, pflegte Kranke, musste Frauen und Kinder zu Grabe tragen.
In seiner Schrift „Ob man vorm Sterben fliehen möge“ hat Luther begründet, warum er das getan hat. Hören Sie genau zu, das ist zwar von 1527, klingt aber erstaunlich modern: „Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Ort meiden, wo man mich nicht braucht damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werden. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“
Da ist alles drin, woran wir heute denken, wenn die Pest unserer Tage, das Corona-Virus, unsere Gegenwart bestimmt: Viel Lüften. Abstand halten. Homeoffice. Seelsorge in Altenheimen. Impfen, ja Impfen – denn, so Luther: „Gott hat die Arznei geschaffen und die Vernunft gegeben, dem Leib vorzustehen und ihn zu pflegen, daß er gesund sei und lebe“. Impfen also aus lutherischer Sicht ein vernünftiges Verhalten, ein vernünftiger Gottesdienst. Erstaunlich modern, dieser Reformator.
„Ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht“ – könnte das ein senfkorngroßer Glauben sein? Der zwar nicht Maulbeerbäume entwurzelt oder Berge versetzt, der aber Stück für Stück in Liebe zu den Menschen dazu beiträgt, dass unsere Gesellschaft nicht mehr in den Corona-Lockdown zurückmuss.
Ein Glaube, der Gott nicht versucht, sondern Gott vertraut – ein solcher Glaube, der versetzt zwar vielleicht keine Berge, aber er ist ein Glaube in Liebe. Und damit ist er doch nicht so nichtig, doch keine Null. Immerhin. Ein Senfkorn.
Wenn Sie denken, es wird alles zu schwierig, unser Glauben ist zu klein, unsere Gemeinde wird zu klein,– dann denken Sie an das kleine Senfkorn. Immerhin.
Und in Ihrem besonderen Senfkorn steht der Verweis auf Ps 127,1. Gott hat das Haus gebaut, Gott hat dieses Haus gebaut. Es ist nicht umsonst, dass Menschen daran gebaut haben. Und wenn sie auch keine Maulbeerbäume oder Berge versetzt haben, so doch zumindest einiges an Baumaterial. Sie hier in Arnsberg haben ja seit der Erbauung irgendwie ständig an Ihrer Kirche herumgebaut. Wenn ich es richtig verstanden habe, war etwa alle 50 Jahre ein Umbau daran (Bau 1822-24, Umbauten 1891, 1951/52, 2001, 2019-21). Sie werden weiter daran bauen. Das kann ich mir eigentlich gar nicht anders vorstellen. Und zwar nicht nur äußerlich. Sondern auch innerlich. Sie werden hier in diesem Gebäude Gemeinde er-bauen, auf-bauen, auf-er-bauen. Gemeindeaufbau mit dem gleichen Senfkorn-Glauben wie beim Kirchenumbau. Wenn der Herr nicht die Gemeinde baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Weil der Herr aber diese Gemeinde baut, so wird die Arbeit derer, die daran arbeiten, nicht umsonst sein. Das ist die Verheißung dieses Tages.
Oh happy day!
Amen.