Wolfgang Huber, Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt, C.H. Beck Verlag München 2. Aufl. 2019, ISBN 9783406731372, 336 Seiten, gebunden, 26,95€
Wolfgang Huber hat ein großartiges Buch über Dietrich Bonhoeffer geschrieben. Es ist klug und verständlich zugleich, sowohl historisch präzise als auch aktuell deutend; es verbindet Grundwissen über Dietrich Bonhoeffer mit neuen Deutungen seiner Theologie – und nicht zuletzt lässt es sich auch vor dem Hintergrund von Wolfgang Hubers eigenem Wirken als Theologieprofessor, Bischof und EKD-Ratsvorsitzender lesen. Das erhellt vielfach auch die gegenwärtige Situation von evangelischer Theologie und Kirche in Deutschland.
Huber verhehlt nicht, dass Bonhoeffer für ihn „ein Vorbild“ (34) ist, weil sein Lebenswerk „zu einem der stärksten theologischen Impulse, die aus dem vergangenen Jahrhundert in unsere Gegenwart hinüberwirken“, wurde. Und so ist seine Darstellung von einer tiefen Sympathie durchzogen, ohne unkritisch naiv zu sein; Huber ist dabei gleichzeitig Teil der Wirkungsgeschichte Bonhoeffers und ihr Gegenüber.
Auf schwungvollen 366 Seiten zeichnet Huber ein Porträt, das auf der Grundlage der Biographie in 12 Kapiteln das Denken und Leben Dietrich Bonhoeffers vorstellt und kommentiert.
Nach einem „Prolog: Wer war Dietrich Bonhoeffer?“ und einem Kapitel zu den „Bildungswegen“ des Protagonisten folgen 8 Kapitel zu zentralen Themen der Bonhoefferschen Theologie: „Die Kirche als Vorzeichen vor der Klammer / Billige oder teure Gnade / Die Bibel im Leben und in der Theologie / Christlicher Pazifismus / Widerstand mit theologischem Profil / Mut zur Schuld / Verantwortungsethik / Kein Ende der Religion“, bevor nach einem Schlenker über die „Polyphonie des Lebens“ (in dem es zumeist um Bonhoeffers Verhältnis zur Musik geht) ein „Epilog“ festhält, „was bleibt“.
An drei exemplarischen Punkten sei dies ausgeführt (viele weitere könnten benannt werden):
– Bonhoeffers Dissertation „Sanctorum Communio“ aus dem Jahr 1927 wird von Huber zunächst in ihrem theologiegeschichtlichen Kontext eingeführt, wobei ein quasi nebenbei ein fundierter und gleichzeitig allgemeinverständlicher Durchgang durch das Kirchenverständnis von Schleiermacher, Harnack und Dibelius (vgl. 61-67) entsteht. Dann zeichnet Huber die vier von Bonhoeffer unterschiedenen Kirchentypen konzentrisch nach: Im äußersten Kreis die Taufgemeinde in ihrer volkskirchlichen und in ihrer missionskirchlichen Ausprägung, die Predigtgemeinde im mittleren Kreis und im innersten Kreis die „Abendmahlsgemeinde“ als „Bekennergemeinde“ (75). Damit macht Bonhoeffer in Hubers Darstellung die Gegenüberstellung von Volkskirche und Freiwilligkeitskirche obsolet, die auch heute noch vielfach die Debatte bestimmt.
– Vielzitiert ist Bonhoeffers Satz aus dem Jahr 1944, die Kirche sei „nur Kirche, wenn sie für andere da ist“. Hier befreit Huber Bonhoeffer aus der Umarmung derjenigen, die in dieser Formulierung die „Einseitigkeit ihres aktivistischen Tons“ entweder nicht wahrnehmen oder übertreiben. Huber betont: „Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Kirche eine Kirche mit anderen ist, bevor sie eine Kirche für andere sein kann“ (85). Parallel dazu weist er bei seiner Darstellung der Bonhoefferschen Gefängnisbriefe die oft überzeichnete gesellschaftspolitische Deutung von „Widerstand und Ergebung“ zurück, indem er die Briefe in ihrer biographischen Situation 1944 verortet. So sei damit „nicht der politische Widerstand, sondern die innere Revolte gegen das mit der Inhaftierung verbundene Schicksal gemeint“ (166).
– Im Gefängnis dachte Bonhoeffer darüber nach, wie und warum ihm manche religiösen Verhaltensweisen und Denkformen problematisch wurden. Dies führte ihn zu Überlegungen, die theologisch kühn nach vorne denken: „Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen.“ Huber zeigt die „historisch identifizierbare Problemkonstellation“ (241) auf, in der dieser Satz entstand. Er verbindet sie mit den soziologischen, theologischen und historischen Ausführungen zur Religion in den anderen Schriften Bonhoeffers und warnt deshalb davor, diese Aussagen absolut zu setzen. Dieser Gefahr seien manche westdeutschen Vertreter von Bonhoeffers Rezeptionsgeschichte erlegen: „Die Aussagen über die religionslos gewordene Welt wurden nicht selten als Einladung zur Selbstsäkularisierung der Kirche missverstanden“ (290). Demgegenüber hält Huber schon in der Überschrift des Kapitels programmatisch fest: „Kein Ende der Religion“!
„Was bleibt“? Natürlich sind in der Wirkungsgeschichte prägend „der zugeschriebene Status eines Märtyrers“ (279), die postumen Veröffentlichungen – vor allem die „Ethik“ sowie die Gefängnisbriefe „Widerstand und Ergebung“ – und die Rezeption in der weltweiten Ökumene. Als „Kronzeuge von Protest und Widerstand“ (285) diente und dient Bonhoeffer für diejenigen, die „die Frage der politischen Resistenz, die Verantwortung für den Frieden und die öffentliche Rolle der Kirche“ thematisieren. Hier setzt Huber manchen kritischen Akzent, etwa wenn er „die Neigung, einen Märtyrer für die eigene Position zu instrumentalisieren“ (283), benennt. Er selbst schließt sein Porträt mit dem Ende 1944 im Gefängnis verfassten Neujahrsgedicht Bonhoeffers, das unter dem Titel „Von guten Mächten“ vielfache Rezeption und Vertonung erfahren hat. So kulminiert das Buch in den tröstlichen Versen „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, / und ganz gewiss an jedem neuen Tag“.
In seinen Ausführungen zu Bonhoeffers Religions- und Kirchenverständnis formuliert Huber en passant, aber sicher nicht zufällig, die zentrale Aufgabe für Theologie und Kirche der Gegenwart, nämlich, „das Glaubenswissen auch öffentlich auf neue Weise zum Thema zu machen“ (254). Mit diesem Buch hat er erneut einen Beitrag dazu geleistet. Es ist definitiv lesenswert!
Rezension für das Kirchliche Amtsblatt der Evangelischen Kirche von Westfalen, Nr. 1 vom 31.01.2020, 7-8.