Andacht am 28. März 2025 im Landeskirchenamt Hannover
Geh aus mein Herz und suche Freud
Vom großen Theologen Eberhard Jüngel ist überliefert, er habe im Examen sagen müssen, was die Aussage des neutestamentlichen Philipperbriefs gewesen sei. Er habe geantwortet „Freuet euch in dem Herrn allewege“. Und der Prüfer habe weiter gefragt: „Aber da steht doch bestimmt noch mehr drin?“ Und dann habe Jüngel geantwortet: „und abermals sage ich: Freuet euch!“
Freuet euch in dem Herrn allewege. Leichter gesagt als getan. Geh aus mein Herz und suche Freud. Leichter gesucht als gefunden.
Ein Blick in die Tagesschau App:
Donald Trump und Elon Musk führen in den USA eine reaktionäre Revolution von oben durch, die die Demokratie in der mächtigsten Nation der Welt gefährdet. Und das Gleichgewicht des Weltfriedens gleich mit. Die Waffen zwischen Israel und der Hamas schweigen nicht mehr. Das Klimaziel von maximal 1,5 Grad zusätzlicher Erderwärmung ist endgültig verfehlt.
Aber nicht nur weltweit, sondern auch persönlich ist das mit der Freude so eine Sache:
Ich war in der letzten Woche nicht nur krank geschrieben, sondern wirklich krank. Ein Freund und ehemaliger Kollege hatte einen Schlaganfall. Die Mutter einer Nachbarin liegt im Hospiz und also im Sterben.
Ich gestehe: Das ist nicht nur so eine rhetorische Aneinanderreihung von schlechten Beispielen. Das macht mich wirklich fertig. Da Grund zur Freude zu finden, das schaffe ich nicht. Da hilft mir auch der große Theologe nicht weiter.
Und in der Situation kommt mir ein Song der Berliner Liedermacherin Dota Kehr auf die Kopfhörer. Die hat zum zweiten Mal ein Album der Dichterin Mascha Kaléko vertont. Mascha Kaléko ist die einzige bekannte dichtende Frau der Neuen Sachlichkeit. Sie wurde häufig mit ihren männlichen Kollegen verglichen; so bezeichnete man sie als „weiblichen Ringelnatz“ und „weiblichen Kästner“. Eigentlich könnte man es aber auch umgekehrt sehen: Ringelnatz und Kästner als „männliche Kalékos“.
Mascha Kaléko wurde 1907 in West-Galizien (damals Österreich-Ungarn, heute Polen) in eine jüdische Familie geboren. Um den Pogromen zu entkommen, floh die Familie 1914 nach Deutschland; ab 1918 lebte sie Berlin. Dort ging Mascha Kaléko zur Schule und machte anschließend eine Bürolehre. 1928 heiratete sie ihren ersten Mann. Ab 1929 veröffentlichte sie in Zeitungen und dann auch Büchern ihre ersten Gedichte.
Der Aufstieg der Nazis und das Publikationsverbot, mit dem sie Mascha Kaléko 1935 belegten, setzten ihrem Aufstieg ein jähes Ende. 1938 emigrierte sie mit ihrem zweiten Ehemann und dem gemeinsamen Sohn nach New York, wo sie zwar weiter Gedichte veröffentlichte, aber insgesamt unglücklich blieb. Als Buchtipp aus der Zeit: Verse für Zeitgenossen (1945, Neuauflage 2024).
1956 trat Mascha Kaléko ihre erste Deutschlandreise nach dem Krieg an; zu dieser Zeit erschienen Wiederauflagen ihrer Gedichtbände. 1959 zog das Ehepaar aus den USA nach Jerusalem. Eine Heimat fand die Dichterin dort aber auch nicht; bis an ihr Lebensende reiste sie viel. Sie starb auf einer Europareise 1975 in Zürich.
Insgesamt hatte Mascha Kaléko kein leichtes Leben. Nicht allzu viel Grund zur Freude. Und trotzdem hat sie ein Gedicht geschrieben, das mich froh gemacht hat. An dem ich mich festhalten konnte und kann. Es heißt „Sozusagen grundlos vergnügt“ (aus: In meinen Träumen läutet es Sturm, 1977 aus dem Nachlass). Dieses Gedicht habe ich als Geschenk empfunden. Und ich schenke es Ihnen weiter. Hören Sie zu, genießen Sie es und freuen Sie sich daran.
Mich hat das Lied erfreut. Der swingende Rhythmus. Die intensive, aber nicht aufdringliche Stimme von Dota Kehr. Aber vor allem der Text von Mascha Kaléko. Sie freut sich. Ich brauche das, dass Menschen sich freuen. Wenn andere sich freuen, fällt es mir leichter, mich auch zu freuen.
Und angesichts der wiederholten schlechten Nachrichten brauche ich die Wiederholung der Freude – achtmal taucht sie in dem kleinen Liedchen auf.
Und zunächst mal ganz unerwartet: Freude über Wolken, Regen, Hagel, Frost und Schnee. Das will ich lernen. Mich freuen an dem, was nicht auf den ersten Blick erfreulich ist.
Dann die Freude am Erwartbaren: An grünen Pflanzen, Vogelgezwitscher und Insektengesumme. Mich an Mückenstichen zu freuen, da bin ich noch nicht ganz so weit. Da ist die Dichterin weiter als ich.
Mond und Sonne sind Grund zur Freude, das wiederum kriege ich hin. Auch wenn ich wohl zu den Neunmalklugen gehöre, die alles erst einmal mit dem Kopf verstehen wollen, bevor sie sich freuen können.
Was ich aber verstehe: Freude ist des Lebens Sinn. Ohne Freude macht es keinen Sinn mehr. Ja, davon kann jeder depressive Mensch ein Lied singen. Und gerade deshalb will ich dieses Lied hier hören und mitsingen.
Und mit Mascha Kaléko vom Sonnenschein und Vogelgezwitscher auf die Meta-Ebene gehen. Mich freuen, dass ich bin. Naja, ob ich mich immer so freuen kann, wie ich bin, nun gut, auch das muss sich noch entwickeln. Aber ja, dass ich bin, das sehe ich ein, das ist schon nicht schlecht. Sonst könnte ich ja Freitags nicht mit Ihnen Andacht feiern.
Und ohne dass Mascha Kaléko Gott erwähnt, ist er plötzlich doch da. Da ist nämlich der Himmel offen, das Leben himmlisch. Dann wird es geradezu theologisch und das Gebot der Nächstenliebe klug hergeleitet: „Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben, – Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.“ Ohne Selbstliebe keine Nächstenliebe. Fast könnte es hier schon aufhören. Doch dann geht’s noch weiter im Text.
Wichtig: Das Schöne niemals für selbstverständlich halten. Sich nicht an Wunder gewöhnen, sondern dankbar dafür sein. Offen für das Neue. Da geht noch was.
Und zum Schluss ein Satz, der auf der Ebene der ganz großen Sätze spielt. So was wie „Ich denke, also bin ich“. – „Ich freue mich, dass ich mich freu“. Ja, Freude zieht Freude nach sich. Mascha Kaléko freut sich, dass sie sich freut. Und auch ich freue mich, dass sie sich freut.
Und denke: Vielleicht hatte Eberhard Jüngel doch Recht, obwohl er ein so großer Theologe war: „Freuet euch in dem Herrn allewege! Und abermals sage ich: Freuet euch!„
Amen.