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Kirchliches

Du bist der Mann!

Andacht im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Westfalen am 30. August 2022
(mit Dank für die Inspiration durch Prof. Dr. Thomas Naumann in Kommentar und Predigtmeditation)

Liebe Gemeinde,

manchmal sind biblische Texte gar nicht langweilig fromm, sondern voller Drama, Sex & Crime. Die Geschichte von König David und Batseba ist so eine. Der große König David sieht eines Tages zufällig vom Dach seines Hauses, wie sich die schöne Batseba ein paar Häuser nackt wäscht. Obwohl er weiß, dass sie die Frau seines Soldaten Uria ist, lässt er sie durch Boten in den Palast holen und schläft mit ihr. Sie wird schwanger. David setzt Uria direkt an der Front ein, der auch prompt stirbt. Höflicherweise wartet er die Trauerzeit von Batseba ab, dann holt er sie in den Palast, heiratet sie und bekommt einen Sohn von ihr. Clever gemacht. Aber er hat nicht mit Gott gerechnet. Der schickt seinen Propheten zu einem dramatischen Auftritt.

Wie die Geschichte weitergeht, steht in 2. Samuel 12. Der Predigttext vom vorgestrigen Sonntag:

1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8 und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9 Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. 10 Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. […] 13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. 15 Und Nathan ging heim.

Wenige Worte des von Gott gesandten Propheten Nathan reichen aus und der kluge Plan Davids fällt in sich zusammen. „Du bist der Mann“. Dein ganzes Gerede von Gerechtigkeit ist hohl, wenn Du immer nur die Ungerechtigkeit des anderen siehst und nicht Deine eigene Ungerechtigkeit. Das Batseba-Syndrom heißt das heutzutage in Führungskräfteseminaren, wenn es um das moralische Versagen von Führungskräften auf dem Höhepunkt ihrer Karriere geht. David leidet sichtbar an diesem Syndrom. Und er ist nicht der Einzige. Weder damals noch heute.

Wie sehr wünsche ich mir heute einen Nathan, der den Mächtigen in der Welt, in Staat, Gesellschaft und Kirche mutig sagt: Dein Beharren auf Frieden, auf Klimaschutz, auf sozialen Ausgleich ist dann falsch, wenn Du immer nur von anderen forderst, aber nichts selbst dafür tust. Setzen Sie hier ein, wen Sie mögen: ob es Putin ist oder sonst irgend jemand anders. Wie oft wünsche ich mir, dass Gott diesen Mächtigen dann nicht nur sagt, sondern auch zeigt, dass ihr Handeln falsch ist.

Aber dann muss ich mir sagen lassen: Du, Vicco von Bülow, bist der Mann. Was ist Dein Anteil am Unfrieden, an der Umweltzerstörung, an sozialer Ungerechtigkeit?
Wenn ich mit dem Zeigefinger auf jemanden anderen zeige, zeigen drei Finger auf mich zurück.

Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, stehe ich nicht auf Nathans Seite. Sondern ich stehe da neben David. Er möchte niemanden hinter seine Fassade blicken lassen . So bin ich manchmal auch. Und dann kann ich nur hoffen, dass ich die Kraft habe, die David hatte, als er erkennt, dass er der Mann aus Nathans Geschichte ist: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Anzuerkennen, dass ich selbst derjenige bin, der den Mist gebaut hat, das ist nicht einfach. Aber die biblische Geschichte sagt es: Es ist die einzige Voraussetzung, um mit Gott voranzukommen. Nathan reagiert unmittelbar auf das Schuldbekenntnis Davids: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen.“ Gegen die Sünde kann nur Gott etwas tun. Die reformatorische Überzeugung von der Rechtfertigung des Menschen durch die Gnade Gottes kann hier anknüpfen.

Aber in der Geschichte von David und Batseba und Nathan steckt viel mehr als nur die Bestätigung der Rechtfertigungslehre, die uns evangelischen Theologen so gut gefallen würde. Die Bibel ist immer reichhaltiger als alle noch so reichhaltige Theologie. Aber manchmal enthält sie auch etwas, das mich irritiert, auch wenn ich kluge Exegeten finde, die mir erklären, was damit gemeint sein könnte.

Ein Beispiel will ich Ihnen und Euch zumuten. Denn der Predigttext, den die Perikopenordnung vorgeschlagen und den die Lektorin vorhin vorgelesen hat, ist nicht der komplette Bibeltext. Am Ende der Anklage, die Nathan im Namen Gottes an David richtet, fehlen zwei Verse, die Verse 11 und 12. Die holen wir jetzt nach:

11 So spricht der HERR: Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei deinen Frauen schlafen soll an der lichten Sonne. 12 Denn du hast’s heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne.

Davids Sünde hat Folgen. Nicht nur für ihn selbst. Sondern auch für das gemeinsame erste Kind mit Batseba: der Sohn muss sterben. Und auch für die anderen Frauen Davids (so ein König hatte natürlich mehrere) bedeutet der Fehltritt Schlimmes. Er hat im Geheimen Ehebruch begangen. Seine Nebenfrauen sollen im Licht der Sonne vergewaltigt werden. Vier Kapitel später passiert genau das: Davids Sohn Absalom versucht, seinen Vater zu stürzen – und ein grausames Mittel auf diesem Weg ist die öffentliche Vergewaltigung von Davids Nebenfrauen.

Intellektuell kann ich nachvollziehen, was hier passiert. Aber ich kann es nicht wirklich verstehen.

Statt um die Schuld eines einzelnen Mannes geht es jetzt um seine Bestrafung, indem es an seine Ehre geht. Im patriarchalischen System sind es die Frauen eines Mannes, die seine Ehre oder seine Schande repräsentieren. Auf ihrem Körper wird das Ganze ausgetragen.

Ich kann nachvollziehen: Schuldvergebung für David heißt nicht, dass die Folgen seiner Sünde in der Welt komplett zunichte gemacht werden. David erfährt Vergebung, aber der Fluch seiner bösen Taten bleibt in der Welt. Nur David als Person, er allein wird entbunden von den Folgen seines Tuns.

Das kann ich nachvollziehen, aber verstehen kann ich es nicht. Denn sein Kind und seine Frauen müssen unter den Folgen von Davids Tun leiden, sterben.

Wenn wir in der Kirche vom Anspruch der Bibel auf unser Leben überzeugt sind, wenn wir glauben, dass die Bibel uns persönlich etwas zu sagen hat, dann kann das nicht für alle Verse der Bibel gleichermaßen gelten. Diese beiden Verse sind eine Belastung für das Gottesbild, das mir die Bibel erzählt, „eine schwer erträgliche Zumutung biblischer Gottesrede“ (Thomas Naumann). Sie zeigen mir erneut, dass die Bibel nicht buchstäblich verstanden werden kann. Dass sie gedeutet werden muss. Ich bin noch lange nicht fertig mit der Deutung dieser Geschichte.

Davids kurzes Schuldbekenntnis ist mir zu knapp: „Ich habe gesündigt gegen den HERRN“. Ist das alles?

Offensichtlich ist das schon anderen so gegangen. Denn der Psalm 51,den wir vorhin gemeinsam gebetet haben, enthält ein ausführlicheres Schuldbekenntnis. Er ist überschrieben „Ein Psalm Davids, vorzusingen, als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war.“

Deshalb komme ich am Ende auf diesen Psalm zurück,. Dort wird das „Gott, sei mir Sünder gnädig“ ausführlicher ausgesprochen:

3 Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. 4 Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; 5 denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir.

11 Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat. 12 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist. 13 Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.

Amen.