Kategorien
Kirchliches

Kirche (Symbolbild)

Andacht im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Westfalen

am 29.08.2023

Liebe LKA-Gemeinde,

erinnern Sie sich noch an Ihren Sommerurlaub? Fast schon so lange her, dass er kaum mehr wahr ist. Aber wenn ich nachdenke, weiß ich es wieder: Ich war wie im letzten Jahr in Südtirol. Und diesmal sind wir nicht über den Brenner gefahren, sondern über den Reschenpass. Da liegt der Reschensee. Sehr pittoresk. Aber kein natürlicher See, sondern ein Stausee. Für die Stromerzeugung wurden 1950 das Dorf Graun und weitere Siedlungen geflutet. Von den Dörfern sieht man nichts mehr. Fast nichts. Der Kirchturm von Alt-Graun ragt noch aus dem Wasser. Je nach Wasserstand geht ihm das Wasser bis zum Fundament oder zum Glockenfenster. In diesem Jahr war der See so etwa auf mittlerer Höhe.

Ich habe ein Foto gemacht und auf Facebook und Instagram veröffentlicht: mit dem spontanen Kommentar: Ein Symbolbild für die Kirche. Und bekam prompt die Rückfrage: Ein Symbolbild für was? Für „Wasser bis zum Hals“ oder für „Wandeln über den Wassern“?

Es gibt eine biblische Geschichte, in der beides drin vorkommt: Jesus und der sinkende Petrus  (Mt 14,22-33)

22 Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 
23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 
24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 
25 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 
27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 
30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 
31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm:  Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 
33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Ein bisschen gemein, diese Geschichte. Erst schickt Jesus seine Jünger mit dem Boot weg, weil er alleine beten will. Die Sturmwolken dürften sich doch wohl schon über dem See zusammengezogen haben. Und als der Sturm dann in der Nacht so richtig losgegangen war, da geht er eben mal so übers Wasser und jagt seinen Jüngern einen Riesenschrecken ein. „Seid getrost, ich bin’s! Fürchtet Euch nicht!“, sagt das Gespenst, für das ihn die Jünger wohl halten wohl halten müssen. Toller Auftritt.

Einer von den verschreckten Jüngern will’s dann aber genau wissen. „Herr, bist Du’s, so befiehl mir, zu Dir zu kommen auf dem Wasser.“ Petrus. Natürlich. Wer sonst: Will mal wieder zeigen, dass er der Mutigste ist. Steigt aus dem Boot und geht auf Jesus zu. Auf dem Wasser. Aber kaum wird ihm klar, was da passiert, dass es Wellen und Wind gibt, beginnt er zu sinken. „Herr, hilf mir!“

Was Jesus dann tut, ist so ein bisschen gönnerhaft: Er greift Petrus‘ Hand und zieht ihn raus. Um das Ganze dann noch zu toppen, nennt er ihn auch noch „kleingläubig“. Und kritisiert seinen Zweifel.

Ist das nicht gemein? Darf man so mit der Angst der Menschen umgehen? Und selbst wenn ich mal einräume, dass diese biblische Geschichte sowas wie eine Fabel ist: Was will sie uns heute erzählen, die wir vor dem Kirchturm von Alt-Graun im Reschensee und vor unserer Kirche stehen, der das Wasser bis zum Hals steht?

Ein paar Ideen dazu.

Menschen haben Angst. Mit einem Boot in dunkler Nacht auf stürmischem See zu sein: archetypischer kann man Angst kaum darstellen. Das ist der Stoff, aus dem Alpträume sind. Dahinter steht die Urangst vor dem Tod. Die Fluten werden mich verschlingen und meine Existenz auslöschen. Das ist der Urgrund aller menschlichen Angst. Und steht er nicht auch hinter unserer Angst um die Zukunft unserer Kirche?

Wie immer man zu Jesu Auftritt mit dem Laufen übers Wasser stehen mag: Auf Seiten der Jünger wird deutlich: Angst macht so eng, dass ich Hilfe schwer erkenne und Helfer als angsteinflößende Gespenster erleben kann. Ich will nicht ausschließen, dass das auch bei der Angst um die Kirche so sein kann.

Menschen wollen Angst überwinden. Aber wie? Petrus veranstaltet hier eine Mutprobe im Glauben. Und scheitert. Der Meister schimpft ihn „kleingläubig“ und bemängelt seinen Zweifel. Keine wirklich Mut-Mach-Geschichte am Dienstag morgen für uns Landeskirchenamtsgemeinde, könnte man meinen. Muss man aber nicht.

Man kann die Geschichte auch anders lesen. Und das will ich Ihnen heute anbieten:

Glauben hat nichts mit der unrealistischen Hoffnung zu tun, ich bräuchte nie mehr Angst zu haben in meinem Leben, wenn ich nur „großgläubig“ genug wäre – wenn das das Gegenteil von „kleingläubig“ sein sollte – also „großgläubig“. Aber Glaube bewahrt nicht sozusagen automatisch vor der Angst. Im Gegenteil: Glaube nimmt die Angst ernst. Der Meister geht hin zu den Menschen in der Angst. Klar kann man sagen: gemein, dass er ihnen nun zusätzlich zur Dunkel und dem stürmischen See auch noch solch einen Schrecken einflößt als Gespenst. Man kann aber auch sagen: Die Ängstlichen haben in ihrer Angst ein Gespenst gesehen und nicht einen möglichen Weg aus der Angst – auch wenn der erst einmal wunderhaft und darum ungehbar erscheinen mag. Denn: Wer kann schon übers Wasser gehen?

Einer aber erkennt den Ausweg, selbst wenn er natürlich auch er noch nie in seinem Leben übers Wasser gelaufen ist. Aber er versucht’s. „Wenn Du mir hilfst“, sagt er zu Jesus, „dann will ich es auf Dein Wort hin versuchen.“ Jesus sagt: „Komm her!“ Und Petrus geht los. Losgehen. Ein guter Tipp für den Umgang mit der Angst auch für uns.

Aber das, was dann passiert, kenne auch ich gut genug. Auf halbem Weg verlässt Petrus der Mut. Und er droht unterzugehen. Jesu Antwort „Du Kleingläubiger. Warum hast Du gezweifelt?“ kann man als Demütigung verstehen. Man kann aber auch lesen: Petrus, Dein Versuch war schon richtig. Du hast als erster im Boot erkannt, dass es Wege aus der Angst gibt. Und Du hast erkannt, dass es dazu Mut braucht und Glauben und Vertrauen. Das alles hast Du gehabt.

Nur hat es noch nicht ganz gereicht. Glauben ist eben auch etwas, das man üben muss. In dem man wachsen kann. Aber der Weg, Petrus, der Weg ist richtig. Zwischen „kleingläubig“ und „großgläubig“ gibt es auch ein irgendwas dazwischen: „gläubig“.

Glauben heißt vor allem Vertrauen. Wir singen heute Lieder aus dem Kirchentagsliederbuch von 2019: #lautstärke. Auf der Titelseite können Sie es lesen: „Was für ein Vertrauen“ hieß es damals in Dortmund. Und Vertrauen war nicht nur vor vier Jahren wichtig, es ist es auch heute. Und wird so bleiben. Wo auch immer, in Dortmund, in Bielefeld, in Hannover, in Berlin. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat beim Kirchentag gesagt: „Unser ganzes Land ist auf Vertrauen gebaut. Es ist kostbar, dieses Vertrauen.“ Und gleichzeitig wissen wir, wie wenig selbstverständlich es ist. Wie Vertrauen schwindet, wie verbreitet Angst ist. Sie wissen das, ich weiß das.

Mir ist an dieser Stelle ein Wort des Theologen Karl Barth hilfreich gewesen. Der hat mitbekommen, wie die Kirchenleitenden und die Professoren im 19. Jahrhundert vergessen haben, von Gott zu reden. Der hat mitbekommen, wie die Nazis nicht nur im Staat, sondern auch in der Kirche die Macht übernommen haben, und wie daraufhin alle bis auf wenige Ausnahmen entweder begeistert mitmachten oder in Angst erstarrten. Der hat mitbekommen, wie in der Kirche und in der Gesellschaft nach 1945 die Chance zum Aufbruch verpasst wurde, weil entweder in die falsche Richtung oder gar nicht geleitet wurde. Beides ist ja nicht gut. Am Ende seines Lebens hat Barth dennoch nicht resigniert oder sein Vertrauen verloren. „Es wird regiert“. So formulierte er es am Vorabend seines Todes am 10. Dezember 1968: „Ja, die Welt ist dunkel. … Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, sondern es wird regiert, und zwar hier auf Erden, aber ganz von oben, vom Himmel her! Gott sitzt im Regimente! Darum fürchte ich mich nicht. … Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns … ! – Es wird regiert!“

Dieses Vertrauen auf Gottes Regierung wünsche ich mir angesichts aller Ängste in meinem Leben. Und diese Zuversicht, dass doch geleitet wird, wünsche ich uns, wünsche ich Euch und Ihnen, wenn wir Angst um unsere Kirche haben, wenn glauben, dass ihr das Wasser bis zum Hals steht.

Amen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert