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Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften

Notger Slenczka, Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften. Einheit und Anspruch, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2020, 736 S., gebunden, 68€, ISBN 978-3-374-06531-8

Wenn ein Autor von sich aus einräumt, dass sein Buch „zu lang“ (92) ist, und wenn dieser Autor schon beim Schreiben weiß, dass ihm das „den Ruf der Bekenntnisorthodoxie“ (686) einbringen wird, dann kann ein Rezensent zugestehen, dass der Autor schlichtweg Recht hat.

Das Buch des Berliner Systematischen Theologen Notger Slenczka über die Theologie der reformatorischen Bekenntnisschriften liest sich nicht nebenbei, sondern will erarbeitet sein. Aber wer sich an diese Arbeit macht, wird vieles über die Bekenntnisse der Reformationszeit lernen – und vieles über den heutigen Umgang damit. Es lohnt sich also, Slenczkas Buch zu lesen, es lohnt sich aber auch – das sei hinzugefügt – ihm zu widersprechen.

Für Studierende der Theologie (und diejenigen, die ihre Studienkenntnisse auffrischen wollen) ist es ein präzises Lehrbuch über die historischen Hintergründe und vor allem die theologischen Aussagen der Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts. Sorgfältig mit Literatur belegt (vgl. z.B. 621. 630), didaktisch mit Zusammenfassungen versehen, hilfreich mit Registern ergänzt.

Für manche Lutheraner mag es eine Anfechtung sein, dass die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften nicht nur „hochinteressant“ (509) ist, sondern dass Slenczka (den der Vorwurf der lutherischen Bekenntnisorthodoxie hier verfehlt) das Wahrheitsmoment reformierter Theologie und damit einen normativen Anspruch auch der reformierten Bekenntnisse anerkennt. Das gilt ebenso für sein (gewandeltes) Verhältnis zur Barmer Theologischen Erklärung. Anders als die traditionelle lutherische Theologie und Kirchlichkeit kommt Slenczka zu dem Schluss, es sei „sinnvoll und wohlgetan, die Entscheidung von Barmen als Bekenntnisgrundlage auch für die lutherischen Kirchen zu übernehmen“ (639). Das alles ist für den Unierten höchst erfreulich.

Für alle diejenigen, die damit ringen, welche Bedeutung 500 Jahre alte Texte für den heutigen Glauben und die heutige Kirche haben, ist das Buch eine Hilfe zum Verstehen. Slenczka erkennt an, dass der normative Anspruch der reformatorischen Bekenntnisschriften gegenwärtig „faktisch fiktiv“ (76) ist. Allen Kirchenordnungsaussagen (auch in Westfalen) und allen theologischen Formeln („norma normata“) zum Trotz. Slenczka weicht dem nicht aus – weder zu einem trotzigen Festhalten an traditionellen Lehrformeln noch zu einem resignierten Verzicht auf die Bekenntnisse. Seine Lösung ist eine neuprotestantische Klärung des Bekenntnisverständnisses, das eben „keine Glaubensnorm“ (257) für den einzelnen Christenmenschen und keine Auflistung christlicher Lehraussagen sei, die man Wort für Wort als Realität zu glauben habe. Der Mensch benötige dringend den „Zuspruch der Freiheit von der Macht des Teufels“ (608) in Gestalt von Gesetz und Evangelium, denn Slenczka hält persönlich „in der Tat die Anfechtungserfahrung Luthers für das mit der menschlichen Existenz gestellte Grundproblem“ (712). Dass für ihn an anderer Stelle „die Anerkennung der schlechthinnigen Abhängigkeit des Menschen das Zentrum darstellt“ (91), zeigt sein Selbstverständnis als „ein Lutheraner, der zu viel Schleiermacher gelesen hat“ (33).

Die Bekenntnisschriften helfen, die „Mitte der Schrift“ (257) im Evangelium von der Person Jesu Christi im Vertrauen auf sein Heilswerk und im Verzicht auf das eigene (Glaubens-)Werk zu erkennen. Insofern sind die Bekenntnisse „als präzisierende Lesehilfe“ (706) der Bibel methodisch sogar vorgeordnet, obwohl sie ihr natürlich inhaltlich nachgeordnet sind. Die methodische Vorordnung – so Slenczka bekenntnisorthodox im Anschluss an Werner Elert – gelte dabei nicht für die einzelnen Christenmenschen, sondern vor allem und so gut wie ausschließlich für die ordinierten Amtsträger. Die Bekenntnisse seien Norm für die Verkündigung der Pfarrerinnen und Pfarrer – nicht für den individuellen Glauben der Gemeindeglieder oder für das liturgische Nachsprechen im Gottesdienst. Das entlastet von der empfundenen Verpflichtung, alle Bekenntnisaussagen lehrhaft für sich übernehmen zu müssen, auch wenn der eigene Glaube beispielsweise mit der Jungfrauengeburt so seine Schwierigkeiten hat.

Zu dieser Lösung kommt Slenczka aber nur, indem er aus den Bekenntnisschriften einige besonders hervorhebt und andere vernachlässigt. Im Zentrum stehen für ihn das Augsburger Bekenntnis, dessen Apologie und die Konkordienformel. Kaum in den Blick nimmt er die drei altkirchlichen Bekenntnisse (die ja explizit in den Kanon lutherischer Bekenntnisschriften gehören und von denen zumindest das Apostolikum regelmäßig im Gottesdienst gesprochen wird). Auch die Katechismen Luthers und den Heidelberger Katechismus behandelt er zwar auf immerhin 50 Seiten, lässt sie aber (möglicherweise gerade wegen ihrer Bedeutung für die Glaubenspraxis der Gemeindeglieder) bewusst als Bekenntnisschriften sui generis aus seiner Deutung heraus.

Von hier aus würde eine kirchenordnende Regelung wie in Westfalen unmöglich, in der der Bekenntnisstand der Gemeinde vorgeordnet ist gegenüber der Bekenntniszuordnung, auf die sich Pfarrerinnen und Pfarrer ordinieren lassen. Die von Schleiermacher und seinem Unionsverständnis geprägte rheinisch-westfälische Kirchenordnung und ihre Theologie haben sich mit guten Gründen, unter Beachtung der Frömmigkeitsprägung und nicht ohne geschichtliche Wirkung, für ein anderes Verhältnis von Gemeinde und Amt, von Schrift und Bekenntnis sowie von Bekenntnisschriften und aktuellem Bekennen entschieden. Dies zeigt auf, dass der Sinn und Gehalt des normativen Anspruchs der Bekenntnisse der reformatorischen Kirchen auch anders bestimmt werden kann, als Slenczka es tut.  Dass der Autor dies sichtlich weiß, nötigt dem Rezensenten Respekt ab. Und dieser Respekt gilt trotz allem (Teil-)Widerspruch auch dem Reichtum des dargebotenen Materials und der Konsequenz der theologischen Argumente.

(Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche von Westfalen Nr. 1/2021)

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