Loriot und ich

„Sind Sie mit Loriot verwandt?“ Diese Frage kenne nicht nur ich, sondern jede(r), der den Nachnamen von Bülow trägt. Bei mir kommt noch der gleiche Vorname hinzu: „Vicco“ kommt vom skandinavischen „Viggo“ (der Krieger), nicht vom lateinischen Viktor (der Sieger). Aber ich bin nicht nach ihm benannt worden, der Name ist seit dem 15. Jahrhundert in unserer Familie heimisch. Die erste Erwähnung der Bülowschen Familie datiert auf das Jahr 1229, die letzten gemeinsamen Vorfahren von Loriot und mir haben um 1400 gelebt – kirchengeschichtlich gesehen also vorreformatorisch, was eine eher weitläufige Verwandtschaft ergibt. Aber wir haben uns, wie alle Mitglieder unserer weitläufigen Familie, miteinander verwandt gefühlt. Und auf einigen der alle zwei Jahre stattfindenden Familientage haben wir uns persönlich getroffen. Unter den bis zu 200 Bülows war dann auch er, ein netter, freundlicher älterer Herr, offen und gesprächsbereit, völlig unprätentiös und überhaupt nicht eitel.

Auf einem dieser Familientage hat er mir er als Theologen ein besonderes Geschenk gemacht: ein Knollennasenmännchen mit Beffchen und Heiligenschein. Ein Unikat. Ein ganz besonderes Andenken, das ich aber aus Urheberrechtsgründen nicht öffentlich zeigen kann. Seine Knollennasenmännchen waren und sind unverwechselbar. Seine TV-Sketche sind Klassiker schon zu Lebzeiten gewesen, die beiden Herren in der Badewanne, Weihnachten mit Hoppenstedts oder der Lottogewinner Erwin Lindemann (dessen Tochter mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen wollte). Seine Filme „Ödipussi“ und „Pappa ante portas“ haben gezeigt, dass er auch das große Format „konnte“. Er beherrschte diese verschiedenen Formate meisterlich. Aber seine eigentliche Stärke war die Beobachtung. Sein scharfer Blick für menschliche Charakterzüge verband sich mit einem milden Tadel für diese Schwächen. Zumindest war die Milde sein Mittel, damit seine kritischen Anmerkungen zu der Gesellschaft seiner Zeit von möglichst vielen Mitgliedern dieser Gesellschaft auch wahrgenommen wurde.

Wie so viele in Deutschland und auch in der evangelischen Kirche habe ich seine Sketche, Zeichnungen, Filme, Inszenierungen mit großem Vergnügen gesehen; viele Formulierungen haben sich auch bei mir in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeschlichen, zum Beispiel das schlichte „Ach, was?!“. Sein feiner Sinn für die menschlichen Stärken und Schwächen hat vermutlich nicht nur mich dabei immer wieder wie in einen Spiegel schauen lassen. Dass er – anders als so manche(r) andere Comedian – schlechte Witze über Gott und die Kirche unterlassen hat, verstärkt aus meiner Sicht nur das Niveau seines Humors, der nicht nur seiner familiären Herkunft wegen vornehm genannt werden kann. Andere haben seine Grundhaltung auch zutreffend als „gelassen, heiter, verzweifelt“ bezeichnet. Von seinen Kollegen wurde er als „Komikklassiker“ (Robert Gernhardt) oder als „beliebtester deutscher Komiker“ (Otto Waalkes) bezeichnet.

Mit 87 Jahren ist er 2011 in einem biblischen Alter gestorben. In Psalm 90,10 heißt es „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre.“ In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und trat nicht mehr aktiv als Humorist in Erscheinung. Zwei Jahre nach seinem Tod wurden über 400 unveröffentlichte Zeichnungen von Loriot in einer großen „Spätlese“ veröffentlicht. Die als „Nachtschattengewächse“ im Schlussteil des Werks bezeichneten Bilder entstanden in schlaflosen Nächten und sind anders als der Rest, nämlich kubistisch, dadaistisch, verquer und weniger offensichtlich komisch.

Fünf Jahre vor seinem Tod wurde er in einem Streiflicht der „Süddeutschen Zeitung“ dahingehend zitiert, dass er ab und an mit Frau und Freunden über Friedhöfe marschiere und nach einer geeigneten letzten Ruhestätte Ausschau halte. Solches abschiedliche Leben war keineswegs makaber, sondern zeigte die fröhliche Gelassenheit, mit der er dem Tod ins Auge blickte. „Ich glaube“, hat Loriot damals gesagt, „dass der liebe Gott lachen kann“. Auch wenn wir darüber trauern, dass wir nicht mehr mit dem lebenden Loriot lachen können, so können wir uns doch darüber freuen, dass er mit dem lebendigen Gott lachen kann.

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